Am 9. August erscheint der Kommunale Finanzreport 2017. In dieser Blog-Reihe stellen wir in sieben Folgen sieben Zahlen aus dem Report vor und erzählen die Geschichten dahinter.
Heute: 50 Milliarden Euro Kassenkredite bundesweit. Die Kassenkredite, im Grunde der kommunale Dispokredit, gelten seit vielen Jahren als DER Krisenindikator. Vor 20 Jahren noch fast unbekannt, liegen sie nunmehr bei fast 50 Milliarden Euro. Eine Stadt ragt dabei heraus: Essen.
Essen hat ein Problem: der Haushalt.
Bemerkenswerte 25 Jahre ist es der Stadt nicht mehr gelungen, ihr Budget ins Lot zu bringen. Dass man damit über 25 Jahre gegen die Gemeindeordnung verstieß, ist wahrscheinlich nur eine spitzfindige Formalie. Wichtiger sind die realen Folgen: Jahr um Jahr fielen Defizite an. Jahr um Jahr stieg der Sanierungsdruck, sanken die Handlungsspielräume und „verfiel“ die Stadt.
Und Jahr für Jahr rutschte die Stadt tiefer in den Dispo. Bei Kommunen nennt sich das Kassenkredite. Sie dienen eigentlich nur dazu, unterjährige Liquiditätsschwankungen auszugleichen. Auf keinen Fall sollten sie dauerhaft bestehen und zum „normalen“ Finanzierungsmittel werden. In vielen Kommunen, Essen ist eine davon, wird dieser Grundsatz seit Jahren verletzt. Die Kassenkredite sind das Spiegelbild dieser Haushaltsdefizite.
In Essen belaufen sie sich mittlerweile auf ungefähr zwei Milliarden Euro. (Ganz genau kann das Keiner sagen, da sie täglich schwanken.) Klar ist aber, keine andere Kommune in Deutschland schiebt einen solchen Schuldenberg vor sich her. Überhaupt gibt es eine ganze Menge Kommunen, die von Kassenkrediten noch nie etwas gehört haben. Ungefähr jede zweite. In Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen oder Thüringen wird der Begriff wahrscheinlich Fragezeichen hervorrufen.
Und so kommen wir zu dieser unglaublichen Erkenntnis: Die Stadt Essen allein hat drei Mal mehr Kassenkredite als alle Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen zusammen.
Licht am Ende des Tunnels
Doch es gibt Hoffnung für Essen. Und zwar auf drei Wegen. Zuerst einmal hat das Innenministerium getan, was ein gutes Innenministerium tut. Es hat die Gesetze geändert. Jetzt sind Kassenkredite nicht mehr ganz so schlimm. Streng genommen hat das Innenministerium die Problematik Kassenkredite sogar ein für alle Mal gelöst. Man hat den Namen gewechselt: Sie heißen jetzt Liquiditätskredite. Immerhin.
Aber auch die Finanzen selbst bessern sich. Die Stadt profitiert, wie alle Kommunen, von der guten Konjunktur und vom freigiebigen Bundesfinanzminister. Binnen fünf Jahren stiegen die Essener Einnahmen von zwei auf drei Milliarden Euro. Ein Wachstum um 50 Prozent.
Auch die Stadt war nicht untätig. Man hat gespart, gekürzt, Steuern erhöht. Der Stärkungspakt des Landes hat Vieles angestoßen. Im Zuge dessen wurde auch die Kommunalaufsicht, viele Jahre Gegner, zum neuen Partner.
Das Wunder von Essen.
Und so geschah es im Herbst 2016. Der Stadtrat hat einen Haushalt beschlossen. Das allein wäre schon ein Erfolg. Allzu oft ist dies in Essen bisher nicht gelungen, vor allem nicht vor Beginn des Haushaltsjahres. Aber nein, der Haushalt ist im Plus! Das erste Mal seit 25 Jahren. Vollkommen zu Recht fand dies ein bundesweites Medienecho.
Essen hat viel geleistet, keine Frage. Manche Frage stellt man sich aber dennoch: Die Einnahmen stiegen binnen fünf Jahren um 50 Prozent. Sie sind heute um 500 Millionen Euro höher als 2012 erhofft. Ein beispielloser Zuwachs. Und dann steht am Ende nur ein Plus von neun Millionen? Läppische 0,3 Prozent?
Die Ausgaben laufen davon.
Am Beispiel Essens lassen sich einige Trends festmachen, die bundesweit zu beobachten sind: Die Einnahmen steigen über Erwarten schnell. Zum Glück. Denn auch die Ausgaben boomen; vor allem die sozialen. So kommt es, dass selbst 50 Prozent Einnahmewachstum den Haushalt nicht gesunden lassen. Das Sparen geht weiter. Schulden werden, wenn Alles gut läuft, ab 2021 getilgt. Die zwei Milliarden Euro Kassenkredite bleiben uns allerdings noch lange Zeit erhalten. Bei dem derzeitigen Tempo noch ungefähr 222 Jahre.
Mehr zu den Kassenkrediten finden Sie ab dem 9. August im Kommunalen Finanzreport. Bereits am 28. Juni finden Sie den nächsten Blog-Beitrag. Dann geht es um die Steuerpolitik der Gemeinden und die Frage, warum hohe Steuersätze nicht immer hohe Einnahmen bringen.
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