Das neue Schuljahr hat längst wieder begonnen und in etlichen Städten war die Sommerpause wieder von hektischen Bemühungen geprägt, die nötige Zahl an Schulplätzen bereitzustellen. In der Öffentlichkeit werden solche Berichte meist mit Verwunderung oder gar Häme aufgenommen.
Doch so trivial diese Aufgabe von außen wirkt, hinter den Kulissen ist die Versorgung der Kinder höchst kompliziert. Und die Komplexität und Relevanz dieser Aufgabe werden in Zukunft wahrscheinlich noch weiter steigen, denn bekanntlich tritt ab 2026 ein Rechtsanspruch auf Ganztag für die Grundschulkinder in Kraft, die dann eingeschult werden. Diesen Rechtsanspruch zu erfüllen (und somit vor allem Schadenersatzforderungen von Eltern zu vermeiden), treibt momentan wohl fast alle Kommunen in Deutschland um.
Wie die Kommunen die notwendigen Kapazitäten für die Betreuung von Grundschulkindern planen, vor welchen Hürden sie dabei stehen, und wie die Rechtslage überhaupt aussieht, wurde am Beispiel der Fontanestadt Neuruppin in Brandenburg näher untersucht. Hier soll der Ganztag für Grundschulkinder – anders als in den westdeutschen Flächenländern – über Horte erfüllt werden. Diese liegen, wie die Betreuung der Kinder unter sechs Jahren auch, in der Verantwortung der Jugendhilfe. Dabei traten einige Überraschungen zu Tage.
Zu Besuch in Neuruppin
Die Fontanestadt Neuruppin in Brandenburg ist ein Mittelzentrum mit rund 30.000 Einwohner:innen. In Neuruppin gibt es 28 KiTas, die Hälfte davon wird durch freie Träger betrieben. Die sechs Horte an den Grundschulen hingegen, die den Rechtsanspruch auf Ganztag erfüllen sollen, betreibt die Stadt allein.
Rechtslage mit Lücken
Der Kreis Ostprignitz-Ruppin ist für die Gewährleistung der KiTa- und Hort-Plätze zuständig. Das Jugendamt des Kreises veröffentlicht daher alle zwei Jahre eine Bedarfsplanung, in welcher die prognostizierten Kinderzahlen den Platzzahlen in den Gemeinden gegenübergestellt werden. Diese Planung ist eine Pflichtaufgabe. Mehr sagt das Gesetz nicht. Methoden, Inhalte und Prozess fallen in die Selbstverwaltung der Kreise ohne staatliche Vorgaben und Eingriffe. Das Resultat ist ein jeweils völlig unterschiedlicher Planungsumfang. So hat der Bedarfsplan des Kreises Ostprignitz 80 Seiten, der des Kreises Oder-Spree hingegen 400 Seiten. Die zweite Erkenntnis betrifft die Folgen aus der Planung: Sie sind ungewiss. Der Kreis kann seine Planung den Gemeinden gegenüber nicht durchsetzen. Ihm fehlen die Befugnis und die Instrumente.
Bedarfsplanung in Kreis und Stadt
Der Kreis Ostprignitz-Ruppin legte die letzte Aktualisierung des Bedarfs zur KiTa und Hortplanung im Oktober 2022 vor, gültig für die kommenden zwei Jahre. Für die meisten Gemeinden bedeutet das, dass „die nachhaltige Schaffung von weiteren Betreuungsplätzen zur langfristigen Sicherung der voraussichtlich steigenden Nachfrage durch alle Beteiligten zu prüfen ist.” Der Rechtsanspruch Ganztag wird in dieser Bedarfsplanung allenfalls angedeutet, da er erst nach dem Prognosezeitraum greift.
Eine Besonderheit ist, dass die Stadt Neuruppin als einzige Stadt des Kreises zusätzlich eine eigene Bedarfsplanung vornimmt. Diese erschien im Herbst 2023 mit einer Laufzeit bis 2035. Die Stadt berechnet darin, dass nur für einen der sechs Hort-Standorte Umbaubedarf besteht. In den anderen Standorten sollen vorübergehende Überlastungen, wie in den Vorjahren, kreativ aufgefangen werden.
Hürden der Planung
Die Erarbeitung der Bedarfspläne ist sowohl für den Kreis als auch für die Stadt eine anspruchsvolle Aufgabe. In der Praxis treten immer wieder Lücken zwischen Planung und tatsächlichem Bedarf auf. Einige Ursachen dafür sollen an dieser Stelle aufgezeigt werden:
- Die Bedarfsplanung basiert auf der Prognose der Kinderzahl. Diese mussten in den vergangenen Jahren migrationsbedingt immer wieder nach oben korrigiert werden. Aber auch die innerdeutsche Wanderung und die Geburtenrate sind volatil. In Neuruppin sank z. B. die von der Zuweisung von Asylbewerber:innen beeinflusste Geburtenzahl von 294 Geburten im Jahr 2016 auf nur noch 211 Geburten im Jahr 2020.
- Beschlüsse bei Bund und Land können die Planungsparameter verändern. So haben Vorgaben für geringere Gruppengrößen zur Folge, dass mehr Personal beschäftigt werden muss. Auch Gebührenfreiheit oder ein Rechtsanspruch erhöhen die Nachfrage und damit die Betreuungsquote. In Brandenburg lagen zudem wichtige Rechtsgrundlagen zur Umsetzung des Ganztags erst spät vor. Die Planung musste daher mit unbekannten Variablen arbeiten.
- Arbeitsaufwand und fachlicher Anspruch der Planung sind hoch. Die Kommune muss diese Personalkapazitäten erst einmal vorhalten können und wollen. Je nachdem, wie dies geschieht, ergeben sich Auswirkungen auf Umfang und Qualität der Betreuung in den Horten.
- Für die Planung benötigt der Kreis Informationen aus den Gemeinden und von den freien Trägern. Deren Mitwirkung ist unterschiedlich intensiv und teilweise wenig belastbar. So sind die Gemeinden tendenziell an einer möglichst geringen Bedarfsprognose interessiert, denn mehr KiTas bedeuten höhere Kosten. Die freien Träger hingegen profitieren eher vom Ausbau der Betreuungskapazitäten, die dann von ihnen bedient werden.
- Um die neu gebauten Horte tatsächlich betreiben und die Kinder im Ganztag betreuen zu können, müssen Erzieher:innen eingestellt werden. Das erweist sich in Zeiten des Fachkräftemangels als zunehmend schwierig. Fehlt Personal, müssen Plätze frei bleiben.
- Für den Kreis besteht die Herausforderung, die Ergebnisse der eigenen Bedarfsplanung umzusetzen. Er kann zwar Lücken feststellen, aber er kann den Gemeinden nicht vorgeben, ob und wie diese die fehlenden Plätze zur Verfügung stellen. Es besteht die Gefahr, dass Gemeinden Maßnahmen nicht ergreifen und dann in den Folgejahren Kapazitätslücken auftreten, für welche der Kreis haftet.
Fazit: Ein kaum lösbares Problem
Die Bedarfsplanung für KiTa- und Hortplätze ist ein Handlungsfeld mit großer politischer und fachlicher Bedeutung. Die Rechtslage führt in der Praxis fast zwangsläufig zu Konflikten zwischen Kreis und Gemeinden, die Hürden der Planung zu Über- oder Unterkapazitäten. Der Rechtsanspruch auf Ganztag verschärft die Situation, nicht nur in Brandenburg. Denn, auch wenn in den westdeutschen Flächenländern der Rechtsanspruch hauptsächlich über Angebote an den Grundschulen erfüllt wird, liegt das gleiche Problem vor: Die Jugendhilfe auf Kreisebene ist verantwortlich für die Erfüllung, die Gemeinden als Schulträger müssen die Infrastruktur bereitstellen, sind aber dem Rechtsanspruch nicht verpflichtet. Dieses Spannungsverhältnis kann letztlich nur vor Ort von den Akteuren gemeinsam über intensiven Austausch gelöst werden.
Kommentar verfassen