Die Corona-Krise hat viele Familien von jetzt auf gleich auf sich zurückgeworfen. Kitas, Schulen, Vereine, Jugendzentren – sämtliche Bildungs- und Betreuungseinrichtungen schlossen ihre Pforten. Selbst Hebammen durften Eltern und ihre Neugeborenen nicht mehr besuchen. Fast alle Familien mussten ihren Alltag auf der Stelle komplett neu organisieren – und konnten dabei nicht mal auf bewährte Betreuungsalternativen wie etwa Großeltern zurückgreifen.
Diese Situation wird auf absehbare Zeit so bleiben. Zwar öffnen in einigen Bundesländern die Kitas und Grundschulen nun – zumindest stundenweise – wieder. Doch von einem „normalen“ Schulalltag ist man vielerorts noch weit entfernt. Und wie es nach den Sommerferien weitergeht, ist großenteils ungeklärt. Auch für die Ferien wurden etliche Freizeitangebote abgesagt und die Familien stehen nun ohne Betreuung dar. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Mütter und Väter ihren Jahresurlaub bereits verbraucht haben.
Der Druck steigt
Der Druck auf die Eltern nimmt zu. Einige verschaffen sich bei Twitter Luft unter den Hashtags #coronaelternrechnenab, #coronaeltern, #kinderinderkrise oder #elterninderkrise. „Ich bin immer müde. Ich jammere dauernd rum. Ich finde keinen Ausgleich mehr. Ich erfülle meine Erwartungen nicht. Ich werde keinem wirklich gerecht. […] Ich will, dass das aufhört“, schreibt etwa Commander Keen. Und eine Mutter berichtet: „Ich bin im Moment wirklich am Ende meiner Belastungsgrenze“, ebenso wie eine andere: „Wir wissen nicht, wie wir diese dauerhafte Überbelastung und die finanziellen Einbußen weiter bewältigen sollen.“
Sechs von zehn Familien fühlten sich schon vor der Krise belastet
Schon vor der Corona-Krise standen Eltern erheblich unter Druck. Bereits vor einigen Jahren ergab unsere Familienbefragung bei rund 4.500 Eltern in Nordrhein-Westfalen, dass sechs von zehn Familien sich belastet fühlten: Sie waren dauernd gestresst, in ihrer Elternrolle unsicher und machten sich Sorgen, mit ihrem Geld nicht über die Runden zu kommen. Alleinerziehende, einkommensarme Familien und gering qualifizierte Eltern, aber auch Familien mit Migrationshintergrund waren besonders oft mit mehreren dieser Probleme konfrontiert.
Zwar fühlten die meisten Eltern sich trotz der Risikofaktoren ihrem Familienleben im Alltag weitgehend gewachsen, aber es zeigte sich auch: Zu viele Belastungen schwächen die elterlichen Kompetenzen – und dann besteht die Gefahr, dass den Vätern und Müttern der Alltag entgleitet und sie resignieren. Am Ende leiden vor allem die Kinder. Und das schon zu „ganz normalen Zeiten“.
Zur aktuellen, deutlich verschärften Situation wird in der Mannheimer Corona-Studie berichtet, dass etwa 93 Prozent aller Eltern ihre Kinder derzeit zu Hause selbst betreuen. In der Hälfte der Fälle übernehmen Frauen allein diese Aufgabe. In der KiCo-Studie beschreiben viele Mütter ihre derzeitige Situation „als Bündel von Erschöpfung, Schuldgefühlen und Existenzängsten“. Dazu passt die Nachricht, dass Anrufe bei der „Nummer gegen Kummer“ um 20 Prozent gestiegen sind.
Dringend nötig: Vorbeugende Unterstützung
Der Bedarf an präventiven Angeboten zur Unterstützung von Familien ist also hoch. Die besten Präventionswirkungen gehen allerdings von sozialen Diensten und Einrichtungen aus, die Regelangebote sind – beispielsweise Kindertagesstätten, medizinische Einrichtungen, Kinderärzt*innen, Familienhebammen, Beratungseinrichtungen, aber auch Angebote von Sportvereinen, Jugendverbänden oder Kirchengemeinden – allesamt Einrichtungen, die in den vergangenen Wochen geschlossen waren!
Innovative Ideen gefragt
Wie kann in Zeiten von Social Distancing und geschlossenen Regeleinrichtungen gerade den besonders belasteten Familien geholfen werden?
Ein Ansatz sind Online-Beratungen oder Video-Sprechstunden, wie sie etwa das Nationale Zentrum Frühe Hilfen empfiehlt. Auch ressourcenstärkende Elternbildungsangebote können dazu beitragen, dass Müttern und Vätern der Umgang mit den derzeitigen Belastungen besser gelingt. Unter www.elternsein.info/krisen-bewaeltigen/ideen-fuer-familien finden sich zahlreiche Ideen und Tipps für Familien, wie die Krise gemeinsam besser zu bewältigen ist.
Wie können Kommunen zurzeit schwer erreichbare Familien unterstützen – welche innovativen Wege und Formate sind erfolgversprechend? Viele Kommunen zeigen sich hier sehr erfinderisch. Die Landeskoordinierungsstelle „Präventionsketten Niedersachsen“ hat in zwei Sondernewslettern gute Beispiele gesammelt und stellt diesen Ideenpool den Kommunen zur Verfügung. In Wilhelmshaven beispielsweise können Familien eine Atempause aus sehr belastenden Situationen (z. B. beengten Wohnverhältnissen) nehmen: Die Stadt organisiert kostenfreie Auszeiten für belastete Familien in Einrichtungen, die ansonsten für Besucher derzeit geschlossen sind. So bekommen die Familien beispielsweise die Möglichkeit, kostenfrei einige Stunden in einem schön gelegenen Landschulheim oder im Lern- und Freizeitpark „Störtebecker-Park“ zu verbringen; der Transport der Familie wird organisiert.
Familien sind dringend auf innovative Unterstützungsangebote angewiesen – denn der Druck steigt und damit die Gefahr, dass sich der Druck an den schwächsten Familienmitgliedern entlädt.
Bildnachweis: JackF / iStockphoto.com
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