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Das „Neue Normal“ – Wie Nachhaltigkeit in Kommunen zur Selbstverständlichkeit wird

Obwohl es immer mehr Vorreiter-Kommunen gibt, ist „Nachhaltigkeit“ in den meisten Städten, Kreisen und Gemeinden noch kein übergreifendes Handlungsprinzip. Selbst in den Vorreiter-Kommunen geraten Nachhaltigkeitsprozesse immer wieder ins Stocken – oder werden gar komplett eingestellt – insbesondere dann, wenn eine Projektförderung wegfällt, die Verwaltungsführung wechselt oder sich die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern. Wie kann es also gelingen, Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene konsequent zu verankern und zu einem selbstverständlichen Arbeits- und Handlungsprinzip zu machen?

Neue Erkenntnisse aus der Verhaltenspsychologie und Erfahrungen aus Modellprojekten liefern hierfür Hinweise.

Verhaltenspsychologie: Gewohnheiten lassen sich ändern. 

Wer kennt es nicht? Zum Jahreswechsel entwickelt man viele gute Vorsätze, wie z. B. mehr Sport zu machen, gesünder zu essen oder mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Und kaum ist das neue Jahr ein paar Tage alt, werden die ersten Vorsätze schon wieder „über Bord geworfen“ – und man verfällt in die alten, „schlechten“ Gewohnheiten.

Wie man sich an seine guten Vorsätze hält, beschreibt die amerikanische Verhaltenspsychologin Wendy Wood von der University of Southern California in ihrem neuen Buch „Good Habits, Bad Habits – Gewohnheiten für immer ändern“. Die erste Empfehlung besteht darin, einen geeigneten Kontext zu schaffen. Wenn man regelmäßig mehr Sport machen möchte, könnte man sich beispielsweise in einem Fitnessstudio anmelden oder in einen Sportverein eintreten. Die zweite Empfehlung ist, die gewünschten Handlungen mehrmals und möglichst regelmäßig durchzuführen, so dass sie zur Normalität werden. So könnte man z. B. damit beginnen, einmal pro Woche mit Freund:innen einen Kurs in dem neuen Fitnessstudio zu besuchen. Die dritte Empfehlung ist, sich für jede Wiederholung der gewünschten Handlung zu belohnen. Beispielsweise könnte man sich nach dem Fitnesskurs mit seinen Freund:innen noch zum Essen verabreden.

Mit der Frage, wie nachhaltige Verhaltensweisen – insbesondere in den Bereichen Mobilität, Wohnen und Konsum – entwickelt und verstetigt werden können, hat sich auch das EU-Projekt „INHERIT“ (INter-sectoral Health and Environment Research for InnovaTion) beschäftigt. Das mit EU-Mitteln geförderte Projekt wurde von 2016 bis 2019 durchgeführt und stellt das menschliche Verhalten als Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung in den Mittelpunkt. Um den Wandel hin zu einem nachhaltigen Verhalten zu unterstützen, werden die folgenden Schritte vorgeschlagen: Zunächst geht es darum, die Verhaltensweisen und die zu Grunde liegenden Mechanismen zu verstehen. Anschließend sind die Verhaltungsänderungen zu ermitteln, die für den Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit erforderlich sind. Daraufhin sind soziale und physische Rahmenbedingungen zu schaffen, um die notwendigen Verhaltensänderungen zu unterstützen. Schließlich sind die Individuen und die Angehörigen bestimmter Berufsgruppen zu einem nachhaltigen Verhalten zu befähigen und zu motivieren. Auch im EU-Projekt „INHERIT“ sind also die Faktoren „Kontext“ und „Wiederholung“ (= Schaffung der sozialen und physischen Rahmenbedingungen für notwendige Verhaltensänderungen) und „Belohnung“ (= Motivation für nachhaltiges Verhalten) wesentliche Faktoren für nachhaltige Handlungen.

Verhaltensänderungen in Kommunen: Wie sie gelingen können.

Wie können nun die Erfolgsfaktoren für nachhaltiges Verhalten auf ganze Kommunen (im Sinne von lokalen Gemeinschaften bestehend aus Akteur:innen der Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Politik) übertragen werden, und welchen Beitrag können gerade die kommunale Verwaltung und Politik leisten, damit Nachhaltigkeit vor Ort zur Gewohnheit wird? Nachhaltigkeitsfördernde Kontextbedingungen können beispielsweise durch Förder- oder Regulierungsmaßnahmen, aber auch durch Strukturen, Prozesse und Instrumente des kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements geschaffen werden. Die Verankerung von nachhaltigen Handlungsweisen in Standardprozesse wird dadurch begünstigt, dass bestimmte Vorgänge immer wieder durchlaufen werden, wie z. B. regelmäßige Abstimmungsprozesse in der Verwaltung oder zwischen Verwaltung und Politik. Anreize für nachhaltiges Verhalten können beispielsweise durch Prämien, Preise oder Zertifikate geschaffen werden.

Besonders problematisch bei der langfristigen Implementierung von Nachhaltigkeit ist, dass politische Wechsel bzw. Veränderungen in der Verwaltungsführung oder zeitlich begrenzte Projektförderungen Kommunen in ihrer Transformation immer wieder zurückwerfen. Um Nachhaltigkeitsprozesse zu verstetigen, braucht es jedoch vor allem langfristige Strategien und eine gesicherte Finanzierung. Auch über die Verknüpfung von Nachhaltigkeitszielen oder -kriterien mit dem kommunalen Haushalt kann eine nachhaltige Entwicklung systematisch weiterverfolgt werden.

Nicht nur, aber auch über einen nachhaltigkeitsorientierten Haushalt kann eine Kommune konkrete Kontextbedingungen für die nachhaltige Entwicklung vor Ort schaffen: So kann gezielt in eine gute Infrastruktur investiert werden, die den Bürger:innen nachhaltige Gewohnheiten erleichtert, wie z. B. im Mobilitätsbereich ausgebaute Fahrradwege oder breite ÖPNV-Angebote.

Der Aspekt der Wiederholung kann in der Verwaltung z. B. dadurch eingeführt werden, dass Nachhaltigkeitskriterien regelmäßig bei Beschaffungsprozessen zu berücksichtigen sind. Ein verpflichtender Nachhaltigkeitscheck bei Rats- oder Kreistagsvorlagen wird schnell zur Gewohnheit in der Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Politik. Auf Ebene der Zivilgesellschaft können wiederkehrende Aktionen, wie beispielsweise in Hamburg die „Klimawoche“ oder der bundesweite „Stadtradeln“-Wettbewerb, durchgeführt werden.

Belohnungs- oder Anreizsysteme können helfen, Bürger:innen zu nachhaltigem Handeln zu motivieren und dieses zu verstetigen. In Essen und Mühlheim gibt es beispielsweise die „Bonus-Mobil-App“. Bürger:innen sammeln je zurückgelegten Kilometer zu Fuß, mit dem Fahrrad oder ÖPNV Punkte, welche bei Kooperationspartner:innen gegen Rabatte eingelöst werden können. Möglich ist auch, dass die Kommune z. B. Preise für das nachhaltigste Unternehmen des Jahres oder Zertifikate für nachhaltiges Wirtschaften vergibt.

Bürgerbeteiligung: Nachhaltigkeit als Gemeinschaftsprojekt.

Zur langfristigen Implementierung von Nachhaltigkeit ist die Beteiligung der Bürgerschaft essenziell. Nachhaltige Projekte der Kommune können i. d. R. nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sie von den Bürger:innen mitgetragen werden. Durch Beteiligung kann sich die Bürgerschaft mit den Maßnahmen besser identifizieren und die Akzeptanz der Projekte wird gestärkt.

Entscheidungsverfahren müssten demnach partizipativ gestaltet werden, indem Bürger:innen beispielsweise durch Bürgerforen, Bürgerräte oder auch Online-Beteiligungsplattformen in Prozesse einbezogen werden.

Zusätzlich sollte das Potenzial innovativer Ideen aus der Bürgerschaft genutzt werden. So könnten nachhaltige Ideen aus der Bevölkerung durch Wettbewerbe oder Mitmachprojekte gefördert werden. Außerdem können bereits bestehende zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützt werden, indem Fördermittel, kostenfreie Räumlichkeiten oder personelle Unterstützung seitens der Verwaltung zur Verfügung gestellt werden.



Im Rahmen des Modellprojektes „Global Nachhaltige Kommune NRW“ (GNK NRW) entwickelte Münster in einem breiten Diskussionsprozess seine Nachhaltigkeitsstrategie. Im Beirat engagieren sich seit 2016 über 50 Personen und begleiten in ihrer Funktion den Nachhaltigkeitsprozess von Münster. Mittels dieser Struktur wird sichergestellt, dass die nachhaltige Entwicklung der Stadt gemeinsam mit der Stadtgesellschaft gestaltet wird. Dieser Prozess war Teil des Zukunftsprojektes „Zukünfte Münster 20/30/50“, das wichtige Zukunftsfragen, wie die „Wachsende Stadt“, adressiert. Mehr als zweieinhalb Jahre lang arbeiteten zahlreiche Menschen an der Strategie, darunter Mitarbeiter:innen aus 22 Ämtern und 44 Akteur:innen aus 39 Institutionen, die im „GNK-Projektbeirat“ aktiv waren. Diese Akteur:innen wählten sieben Themenfelder aus und entwickelten Leitlinien und Zielsetzungen.


 

Bildung als Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung.

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist entscheidend für eine langfristig erfolgreiche Transformation. Nachhaltigkeit muss als Grundverständnis in der Bürgerschaft verankert werden. Kommunen können hier aktiv werden und durch Bildungsmaßnahmen langfristige Veränderungen anstoßen. So kann bereits bei Kindern und Jugendlichen angesetzt werden, indem Nachhaltigkeit in den Lehrplänen integriert und durch Projektarbeit zusätzlich gestärkt wird. Auch das Thema Erwachsenenbildung sollte nicht vernachlässigt werden: regelmäßig angebotene Workshops, Kampagnen und Informationsveranstaltungen können dabei helfen, Nachhaltigkeitswissen zu vermitteln. Auf Unternehmensebene empfehlen sich Schulungen zu nachhaltigen und zirkulären Geschäftsmodellen – beispielsweise durch die kommunalen und regionalen Wirtschaftsförderungen –, in denen insbesondere die Chancen einer langfristigen Umstellung von Betrieben hervorgehoben werden.



In der Stadt Rostock entstand Anfang 2024 die Kooperation „DRK meets BNE“. Sie sah vor, dass sich die in den Kindertagesstätten des Deutschen Roten Kreuzes betreuten Kindern mit den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auseinandersetzen und die Stadt bei der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Um die Nachhaltigkeitsthemen möglichst anschaulich zu vermitteln, planten und bastelten die Kinder gemeinsam mit den pädagogischen Fachkräften Exponate und entwarfen bildbasierte Collagen für eine Ausstellung. Das Amt für Umwelt- und Klimaschutz verfolgte den Projektfortschritt laufend und besuchte die Kitas vor Ort. Damit das Projekt auch über die beteiligten Kitas hinaus Wirkung entfalten konnte, wurde vereinbart, die entstandene Ausstellung im Rostocker Rathaus zu zeigen. Am 2. Juli 2024 wurde die Rostocker Nachhaltigkeitsausstellung unter dem Namen „Kinder gestalten Zukunft“ mit den Exponaten und Collagen sowie den Steckbriefen der zehn teilnehmenden DRK-Kindertagesstätten für die Öffentlichkeit freigegeben.


 

Digitalisierung als Treiber für nachhaltige Kommunen.

Längst steht fest, dass Digitalisierung als Treiber für die Umsetzung von Nachhaltigkeit dienen kann. Neue Technologien und digitale Formate können nachhaltige Verhaltensweisen fördern. So bieten digitale Plattformen oder Apps den Bürger:innen die Möglichkeit, sich ohne großen Aufwand an nachhaltigen Projekten zu beteiligen und eigene Ideen einzubringen. Zusätzlich können digitale Formate dazu beitragen, sowohl die Kommunalverwaltung als auch die kommunale Bürgerschaft zu nachhaltigen Verhaltensweisen zu motivieren.



Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Fit im Kreis“ des Kreises Heinsberg. Ziel des Projektes ist es, ein nachhaltiges und personalisiertes Gesundheitsangebot zu schaffen, das Wohlbefinden fördert und die Arbeitsbedingungen langfristig verbessert. Hierzu erhalten alle Mitarbeitenden des Kreises ein Jahr lang kostenlosen Zugang zu einer App, welches durch die Bereitstellung von Informationen dabei hilft, gesunde Routinen in den Berufsalltag zu integrieren. Das Projekt leistet einen Beitrag zur Zielerreichung mehrerer SDGs, wie u. a. SDG 3 „Gesundheit und Wohlergehen“, SDG 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ sowie SDG 12 „Nachhaltiger Konsum und Produktion“.


 

Fazit und Ausblick

Damit Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene zu einer Selbstverständlichkeit wird, sollte ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden. Dieser sollte grundlegende Maßnahmen, wie die Entwicklung einer langfristigen Strategie und die Bereitstellung finanzieller Ressourcen, beinhalten. Zudem müssen weitere Kontextbedingungen geschaffen, Routinen etabliert und Anreize gesetzt werden. So können Verhaltensänderungen in Richtung Nachhaltigkeit dauerhaft bestehen bleiben.

Um nicht nur das nachhaltige Verhalten in der Verwaltung und Politik, sondern auch in der Bürgerschaft, bei zivilgesellschaftlichen Organisationen und bei Unternehmen vor Ort zu fördern, bietet sich die Stärkung von Beteiligungs-, Bildungs- und Digitalisierungsprozessen an: Die Einbindung aller gesellschaftlichen Akteur:innen kann dabei als primärer Erfolgsfaktor für ein langfristiges Nachhaltigkeitsmanagement betrachtet werden. Bildung für nachhaltige Entwicklung schafft zusätzliche Voraussetzungen dafür, dass sich die Bürger:innen aktiv und kompetent in Nachhaltigkeitsprozesse vor Ort einbringen können. Die Digitalisierung ist schließlich als besondere Chance für eine nachhaltige Transformation anzusehen – digitale Technologien können gezielt eingesetzt werden, um nachhaltiges Verhalten zu fördern, Transparenz zu schaffen, Bildung zu fördern und Bürgerbeteiligung zu erleichtern.

Weiterführende Links

RENN-Netzwerk | Kommunale Nachhaltigkeit finanzieren: Elf Thesen des bundesweiten Dialogs „Nachhaltige Stadt“

Stadt Münster | Gemeinsam Zukunft gestalten

BNE-Portal | In Bad Honnef wird Bildung für nachhaltige Entwicklung gelebt

BNE Kompetenzzentrum | Für die Zukunft lernen – Neustart eines BNE-Prozesses in der Modellkommune Rostock

Rat für Nachhaltige Entwicklung | Starke Kommunen oder schwache Transformation

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