Zuwanderung und demographische Entwicklung – profitieren die ländlichen Räume?
Im Zuge der starken Zuwanderung nach Deutschland gibt es viele Diskussionen über demographische Veränderungen. Für den ländlichen Raum werden demographisch Chancen gesehen, die aber nur eingeschränkt zutreffen werden.
Zuwanderung verringert demographische Schrumpfung
Die verstärkte Zuwanderung nach Deutschland ist nicht neu. Im Zuge der Finanzkrise und mit der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit erlebt Deutschland bereits seit 2008/2009 eine spürbar erhöhte Zuwanderung. Diese ist auch in unsere letzte Bevölkerungsvorausberechnung bis 2030 eingeflossen, die wir im www.wegweiser-kommune.de für rund 3.000 Kommunen in Deutschland veröffentlicht haben. Die verstärkte Zuwanderung zeigt sich hier zunächst im Gesamtergebnis für Deutschland: die bis 2030 prognostizierte Schrumpfung hat sich verringert. Auf Ebene der Kommunen bleibt das Bild sehr bunt und reicht von stark wachsenden Kommunen bis zu stark schrumpfenden.
Auf lange Sicht wird die Bevölkerung in Deutschland auch trotz Zuwanderung weiter zurückgehen. Das ist vor allem einem Echoeffekt geschuldet: Seit über 40 Jahren niedrige Geburtenquoten und die immer kleiner werdenden Zahl potenzieller Eltern schlagen sich auf lange Sicht in weiterer Schrumpfung nieder. Denn auch perspektivisch werden deutlich zu wenige Kinder in Deutschland geboren werden.
Alterung schreitet weiter voran
Auch die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende Alterung unserer Gesellschaft wird durch die Zuwanderung nicht gravierend verändert. Vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wissen wir, dass nahezu 90 Prozent der Neueinwanderer aus der EU im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 sind. Und wir wissen aus anderen Studien, dass der Altersschnitt der Zuwanderer insgesamt um 19 Jahre jünger ist, als der der hier lebenden Bevölkerung. So wird Deutschland im Altersdurchschnitt seiner Gesamtbevölkerung zukünftig jünger sein als ohne Zuwanderung. Die in Deutschland in den kommenden Jahrzehenten rasant wachsende Gruppe der älteren und hochbetagten Menschen ist aber bereits heute da. So wird bis zum Jahr 2030 z.B. die Zahl der Hochbetagten um fast 50 % ansteigen. Heißt: Die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft werden unverändert bestehen bleiben.
Städte profitieren stark – ländlicher Raum nur eingeschränkt
Schon heute sind die ländlichen Räume in Deutschland von der demographischen Veränderung besonders betroffen. Das wird sich auf längere Sicht auch mit dem starken Flüchtlingszustrom nicht ändern, denn die Muster der Binnenwanderung in Deutschland greifen auch hier. Die Wanderungsmotive Arbeitsplätze und Bildungsangebote sind maßgeblich für die Binnnenwanderung der Bevölkerung in Deutschland, aber auch für die Arbeitsmigranten im Rahmen der EU. So konnte in Studien gezeigt werden, dass auch die Zuwanderer aus der EU sich vor allem in den städtischen Räumen niedergelassen haben. Dieses Muster der Binnenwanderung wird sich bei anerkannten Flüchtlingen fortsetzen.
Für die Zuweisung von Flüchtlingen in die Kommunen gibt es zunächst Quoten. Die sind sinnvoll, weil sie z.B. an der Größe und damit an der Integrationskraft der Kommunen orientiert sind. Diese Quoten und damit die Wohnsitzbeschränkung gelten im Hinblick auf den Aufenthaltsort der Flüchtlinge so lange, bis deren Asylverfahren abgeschlossen ist. Mit einer Anerkennung als Asylberechtige gewährleistet Art. 11 Grundgesetz anerkannten Flüchtlingen Freizügigkeit im Bundesgebiet. Es ist daher zu erwarten, dass die Asylberechtigten dann ihren Familienverbünden, vor allem aber den Bildungs- und Arbeitsplatzangeboten folgen werden. Diese finden sie vor allem in den städtischen Räumen. Hier setzen sich dann die etablierten Muster der Binnenwanderung in Deutschland fort.
So profitieren bundesweit die Städte demographisch von der Zuwanderung und dem Flüchtlingszustrom stärker als die ländlichen Räume. Zum einen wird in den städtischen Räumen das demographische Wachstum stärker ausfallen durch die fortgesetzten Muster der Binnenmigration. Vor allem aber wird die Bevölkerung im Altersdurchschnitt durch die Zuwanderung noch jünger werden.
In den ländlichen Räumen verhält es sich anders herum. Hier sind eher weniger dauerhafte Zuzüge durch die Migration zu erwarten. Das geht einher mit der seit vielen Jahren zu beobachtenden Abwanderung junger Menschen in die Städte. In den ländlichen Räumen wird es deshalb auch weiterhin spürbare Schrumpfung und eine starke Alterung der Bevölkerung geben. Diese fällt regelmäßig umso stärker aus, je größer die Distanz zu den Städten als Arbeits- und Ausbildungsplatzzentren ist.
Darum gilt: Neben Infrastrukturaspekten und den Themen Pflege und Gesundheit werden insbesondere Mobilität und der Zugang zu leistungsfähigem Internet mitentscheiden über die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume. Diese Gestaltungsaufgabe bleibt eine wichtige- auch vor dem Hintergrund der starken Zuwanderung.
Unterschiedliche Handlungserfordernisse
Das hat auch Konsequenzen für das erforderliche Tun. In den Städten wird vor allen im Wohnungsbau eine Neuausrichtung erforderlich werden. Es wird große investive Anstrengungen brauchen, das Wohnraumangebot adäquat zu vergrößern – und das nicht nur für die gut Situierten, sondern vor allem auch für die Menschen mit normalen oder niedrigen Einkommen. Daneben sind vor allem in den Städten verstärkt Investitionen in kommunale Infrastrukturen sowie Integrationsleistungen erforderlich.
Was bedeutet die Zuwanderung langfristig für Bereiche wie Gesundheit und Pflege?
Zunächst eine Chance: In unserer alternden Gesellschaft sind wir im Bereich Pflege auf Zuwanderung angewiesen, da der Bedarf an Pflegekräften weiter steigen wird. Verstärkte Zuwanderung bedeutet aber auch, dass wir die Angebote im Bereich Gesundheit und Pflege auf die Bedürfnisse der Zugewanderten mit ausrichten. Das erfordert Informationen über Gesundheits- und Pflegeleistungen und einen Zugang zu diesen Leistungen. Zunehmend schwierig wird es in dünn besiedelten Räumen, adäquate Angebote flächendeckend aufrecht zu erhalten. Hier denke ich, dass viele Angebote und Möglichkeiten auch im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung neu gedacht werden müssen. Künftig könnte es etwa mehr Telemedizin und digital unterstützte pflegerische Leistungen geben. Auch darum muss man sich jetzt kümmern.
Wie verändert der starke Flüchtlingszustrom der letzten Monate die vorausberechneten demographischen Veränderungen für Deutschland?
Diese Frage treibt zunehmend nicht nur die Demographen um, sondern auch unsere Zielgruppe: die Kommunen in Deutschland. Viele Einflussfaktoren bestimmen die Bevölkerungsentwicklung. Sie sind nur zum Teil absehbar.
Ob der Flüchtlingsandrang nach Deutschland auch auf lange Sicht so weitergeht wie derzeit, das ist im Moment noch nicht wirklich absehbar. Wir haben aktuell einen starken Zustrom von Flüchtlingen aus Nicht-EU-Staaten, die als Asylbewerber mit dem Ziel einer Anerkennung als Asylberechtigte nach Deutschland kommen. Wie groß der Prozentsatz nachhaltiger Zuwanderung aus diesem Flüchtlingszustrom sein wird, wie viele der Flüchtlinge also auch als Asylberechtigte anerkannt oder aus anderen Gründen dauerhaft bleiben können, ist derzeit nicht valide absehbar. Erkennbar ist aber, dass das deutliche Zuwanderungsplus – auch aus EU-Staaten – in den kommenden Jahren erhalten bleibt. Da sind sich alle Migrationsforscher einig.
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