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27. September 2024

Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland: Herausforderungen, Entwicklungen und Lösungsansätze

Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist ein entscheidender Indikator für das Wohlbefinden einer Gesellschaft und ihre Stabilität in Krisenzeiten. Die Studie „Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland 2023“ der Bertelsmann Stiftung hat den Zustand des Zusammenhalts in Deutschland untersucht und die Faktoren in den Blick genommen, die ihn beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt seit der letzten Erhebung 2020 erheblich unter Druck geraten ist. Insbesondere multiple Krisen wie die Coronapandemie, der Krieg gegen die Ukraine und die erhöhte Inflation haben ihn sichtbar geschwächt. Zwar bleibt der Zusammenhalt weiterhin eine tragende Säule unserer Gesellschaft, allerdings zeigt sich, dass das Miteinander in Deutschland vor großen Herausforderungen steht.

Was ist gesellschaftlicher Zusammenhalt?

Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird durch ein mehrdimensionales Modell erfasst, das sich in drei zentrale Bereiche gliedert: soziale Beziehungen, Verbundenheit mit dem Gemeinwesen und Gemeinwohlorientierung. Diese Bereiche setzen sich wiederum jeweils aus drei spezifischen Dimensionen zusammen und erfassen so ein umfassendes Bild des gesellschaftlichen Zusammenhalts über verschiedene Dimensionen hinweg.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt unter Druck: Aktuelle Entwicklungen

Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat sich viele Jahre als bemerkenswert widerstandsfähig und stabil erwiesen, steht seit 2020 jedoch erheblich unter Druck. Vor der Coronapandemie zeigten die Radar-Studien ein stabiles Bild: Der Gesamtindex des Zusammenhalts lag sowohl 2017 als auch Anfang 2020 bei 61 Punkten. Diese Stabilität änderte sich jedoch mit den Krisen der letzten Jahre. Zu Beginn der Pandemie nahm der Zusammenhalt zunächst zu, fiel jedoch bis Ende 2020 auf das Ausgangsniveau zurück. Seit 2020 ist der Gesamtindex des gesellschaftlichen Zusammenhalts von 61 auf 52 Punkte (2023) gesunken, wobei der Rückgang in allen Dimensionen beobachtbar ist. Besonders betroffen sind die Bereiche „Solidarität und Hilfsbereitschaft“ (−14 Punkte) und „Akzeptanz von Diversität“ (−13 Punkte). Auch das Vertrauen in zentrale Institutionen wie die Bundesregierung und politische Parteien ist gesunken, was die gesellschaftliche Resilienz gefährdet.

Trotz dieses Rückgangs ist hervorzuheben, dass der Wert weiterhin in der oberen Hälfte der Messskala liegt. Angesichts der multiplen Krisen kann er somit immer noch als relativ stabil betrachtet werden. Dennoch verdeutlichen die Ergebnisse, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt unter erheblichem Druck steht und weitere Anstrengungen nötig sind, um diesen zu stärken.

Regionale Unterschiede verdeutlichen soziale Disparitäten

Die Untersuchung offenbart signifikante regionale Unterschiede beim gesellschaftlichen Zusammenhalt. In wohlhabenden westdeutschen Regionen ist der Zusammenhalt deutlich stärker ausgeprägt als im Osten und in wirtschaftlich schwächeren Gebieten. Von den zehn Regionen mit dem höchsten Zusammenhalt liegen acht in Westdeutschland, während die zehn schwächsten vorwiegend in den Ostdeutschen Bundesländern zu finden sind. Besonders betroffen sind dort strukturschwache ländliche Regionen, die unter hoher Abwanderung leiden.

Beispielsweise liegt der durchschnittliche Zusammenhaltswert für den Gesamtindex in Bayern bei 53 Punkten, während Sachsen-Anhalt mit 47 Punkten deutlich darunter liegt. Diese regionalen Disparitäten spiegeln nicht nur wirtschaftliche Ungleichheiten wider, sondern auch die unterschiedliche soziale Infrastruktur und Integrationsfähigkeit der Regionen.

 

Sozioökonomische Faktoren: Ein Schlüssel zum Verständnis

Eine wesentliche Erkenntnis der Studienergebnisse ist, dass sozioökonomische Faktoren und Rahmenbedingungen maßgeblich den gesellschaftlichen Zusammenhalt beeinflussen. Menschen mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsstand und unsicherer Beschäftigung fühlen sich häufiger benachteiligt und weniger repräsentiert. In diesen Gruppen sind Vertrauen, Akzeptanz sozialer Regeln und Solidarität oft besonders gering ausgeprägt.

Laut den Studienergebnissen zählt nur etwa ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland zu den „Eingebundenen“. Damit sind die Menschen gemeint, die sich stark mit dem Gemeinwesen identifizieren und ein hohes Vertrauen in Mitmenschen und Institutionen haben. Im Gegensatz dazu ist der Anteil der „Entfremdeten“ gestiegen und umfasst aktuell 13 Prozent der Befragten. Diese Gruppe weist in allen Teildimensionen des Zusammenhalts deutlich niedrigere Werte auf. Die „Entfremdeten“ haben oft nur kleine Freundeskreise und zeigen geringes Vertrauen in Mitmenschen sowie Institutionen. Sie empfinden eine erhebliche Ungerechtigkeit und nehmen in der Gesellschaft wenig Solidarität und Hilfsbereitschaft wahr. Zudem engagieren sie sich in geringerem Maße und erleben ihr soziales Umfeld als stark belastet. Diese Personengruppe fühlt sich abgehängt und sieht häufig keine Perspektive mehr, was auch zu einer pessimistischen Einstellung gegenüber dem Gemeinwesen führt.

Besonders besorgniserregend ist der allgemeine Vertrauensverlust in zentrale gesellschaftliche Institutionen. Das Vertrauen in die Bundesregierung ist seit 2020 um 9 Punkte gesunken und liegt nun bei nur noch 46 Punkten. Ähnlich zeigt sich ein starker Rückgang des Vertrauens in politische Parteien, was auf eine zunehmende Unzufriedenheit mit der politischen Handlungsfähigkeit hinweist. Diese Entwicklungen sind ein Warnsignal für die Stabilität unserer demokratischen Strukturen.

Handlungsbedarf: Maßnahmen zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Wie können wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder stärken? Die Studienergebnisse verweisen auf verschiedene gezielte Maßnahmen, die den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken können. Entscheidend sei demnach zum Beispiel die Förderung sozialer Teilhabe durch Investitionen in Bildung, soziale Dienste und lokale Gemeinschaften, um Isolation zu verringern. Darüber hinaus müssen sozioökonomische Ungleichheiten, insbesondere in strukturschwachen Regionen, ausgeglichen und Chancengleichheit gefördert werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Stärkung des Vertrauens in Institutionen durch transparente politische Kommunikation und bürgernahe Politik. Insbesondere den Kommunen kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu! Als erste Anlaufstelle im Alltag der Menschen haben sie enormes Integrationspotenzial und können Verbundenheit mit dem Gemeinwesen erzeugen. Dies allerdings setzt finanzielle Spielräume und Gestaltungsmöglichkeiten voraus. Durch diese Ansätze können bestehende Spaltungstendenzen überwunden und der gesellschaftliche Zusammenhalt nachhaltig gefestigt werden.

 

Fazit: Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist keine Selbstverständlichkeit

Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist eine wertvolle Ressource, die in Krisenzeiten Stabilität und Widerstandskraft bietet. Die gegenwärtigen Abwärtstrends sind ein deutliches Warnsignal, das nicht ignoriert werden darf. Um Spaltungstendenzen entgegenzuwirken, bedarf es eines stärkeren politischen und gesellschaftlichen Engagements. Die Politik, die Zivilgesellschaft, die Unternehmen und jeder Einzelne sind gefordert, aktiv zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beizutragen. Durch gezielte Maßnahmen können wir das soziale Fundament unserer Gesellschaft kontinuierlich festigen und den Zusammenhalt langfristig sichern.

Weitere Details und alle Kennzahlen zur Studie finden Sie auf unserem Datenportal. Hier können Sie die vollständige Analyse abrufen:

Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland 2023: Perspektiven auf das Miteinander in herausfordernden Zeiten (bertelsmann-stiftung.de)

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