„Die ersten zwei-drei Wochen der Schulschließungen haben wir nur damit verbracht Kontakt zu unseren Schüler:innen herzustellen und diesen aufrecht zu erhalten – wobei es zu den skurrilsten Situationen kam.“
– Michael Schütz, SchlaU Schule München
Während der gestiegenen Flüchtlingszuwanderung 2015/2016 war die erfolgreiche Integration der Geflüchteten eines der meistdiskutierten Themen. Auch im Wahlkampf vor vier Jahren war der Umgang mit Geflüchteten ein Schwerpunkt. Mittlerweile, inmitten einer globalen Pandemie und der Klimakrise, geraten Flüchtlings- und Integrationspolitik oft in den Hintergrund. Auch im Bundestagswahlkampf schien das Thema kaum präsent. Doch die dramatischen Entwicklungen in Afghanistan machen deutlich, dass eine erfolgreiche Politik zur Integration von Geflüchteten auch in Zukunft ein relevantes Thema für unsere Gesellschaft ist.
Ein Schlüssel für eine erfolgreiche Integration ist der barrierefreie Zugang zum deutschen Bildungssystem für junge Geflüchtete. Bereits vor der Pandemie gab es unzählige Hürden für junge Geflüchtete, um erfolgreich am deutschen Bildungssystem teilzunehmen. Die Pandemie hat diese nicht nur weiter verschärft, sondern auch neue Herausforderungen mit sich gebracht.
Bildungsbenachteiligung vor Covid-19
Bereits vor Beginn der Pandemie hatten Schüler:innen mit Fluchtgeschichte im deutschen Bildungssystem viele Herausforderungen zu bewältigen: zum einen individuelle Barrieren, wie eingeschränkte Sprachkenntnisse, schlechte soziale Anbindungen und psychische Belastungen durch erlebte Traumata oder Ungewissheit über Asylverfahren und mögliche Abschiebungen. Zum anderen durch strukturelle Hürden, wie Stereotypisierungen durch Lehrer:innen und Diskriminierung durch Schule und Lehrinhalte. Auch die Wohnsituation der Geflüchteten war und ist meist unzureichend, um effizient zu lernen und Hausaufgaben zu bearbeiten.
Dass ausländische Schüler:innen insgesamt, also nicht nur Kinder mit Fluchterfahrung, im deutschen Bildungssystem benachteiligt sind, spiegelt sich auch in den Zahlen des Wegweiser Kommune wider. Der Anteil von Schulabgänger:innen an allgemeinbildenden/berufsbildenden Schulen, die ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen, liegt bundesweit zwischen 1 % und 8 %, während er bei ausländischen Schulabgänger:innen zwischen 5 % und 35 % liegt.
Weiter verschärfte Bildungsbenachteiligung durch Covid-19
Die Schulschließungen aufgrund der Corona-Pandemie trafen alle Schüler:innen in Deutschland, doch nicht alle gleichermaßen. Studien zeigen, dass sich soziale Ungleichheiten im Digitalen fortsetzen. Dies ist auch der Fall bei der Chancenungleichheit im deutschen Bildungssystem. Schüler:innen aus sozial schwächeren und armen Familien, die bereits vor Corona unter erschwerten Voraussetzungen litten, unter ihnen mit am stärksten Schüler:innen mit Fluchtgeschichte, leiden besonders unter den Schulschließungen.
Mit Beginn des digitalen Lernens und social distancing, haben sich die Barrieren für eine erfolgreiche und effiziente Bildung der Geflüchteten weiter erhöht. Auch für deutsche oder bereits integrierte Schüler:innen waren die Schulschließungen nicht einfach und die Umstellung auf digitales Lernen brachte einige Schwierigkeiten mit sich. Ein Großteil der geflüchteten Schüler:innen verfügte zu Beginn der Pandemie nicht einmal über die grundlegenden Voraussetzungen, um am online Unterricht teilzunehmen, während sie zusätzlich häufiger als Schüler:innen ohne Fluchtgeschichte mit außerschulischen und psychosomatischen Problemen zu kämpfen haben.
Quelle: Rude, Britta (2020). „Geflüchtete Kinder und Covid-19: Corona als Brennglas vorhandener Problematiken“. ifo Schnelldienst 73, Nr. 12. 46–57. https://www.ifo.de/publikationen/2020/aufsatz-zeitschrift/gefluechtete-kinder-und-covid-19-corona-als-brennglas
Besonders junge Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften wohnen, haben oft weder technische Endgeräte noch eine ausreichende Internetverbindung. Ein eigenes Zimmer und genug Unterstützung durch die Eltern haben die wenigsten Schüler:innen mit Fluchtgeschichte. Lehrer:innen berichten von Schüler:innen, die in Bus und Bahn das freie WLAN nutzen, um am Unterricht teilzunehmen. Andere sitzen in Parks und anderen öffentlichen Plätzen und schalten sich in den Unterricht, teils stundenlang bei eisigen Temperaturen. Diese Situationen verdeutlichen, dass es nicht nur um die Lernerfolge, sondern auch um die Gesundheit und Würde der jungen Geflüchteten geht.
Diese Probleme sind nicht nur auf die Monate der Lockdowns und Schulschließungen beschränkt. Auch im alltäglichen Schul- und Privatleben, sollten alle Schüler:innen ein Recht auf einen Internetzugang haben und mit den notwendigen technischen Endgeräten ausgestattet werden. Länder und Kommunen sollten verpflichtet sein, das Recht auf Internet für alle zu sichern.
Doch Schüler:innen mit Fluchtgeschichte waren nicht nur von infrastrukturellen Problemen während der Pandemie betroffen. Für viele hat sich der ohnehin schon große psychosoziale Stress weiter verstärkt. Besonders zu Beginn der Pandemie gab es kaum Informationen zu neuen Maßnahmen und Einschränkungen in einfacher Sprache. Für viele bedeutete das eine große Ungewissheit im Alltag, zum Beispiel bei Behördengängen, Arztbesuchen oder dem Erfüllen von Asylauflagen. Viele berichten nicht nur von großer Angst vor möglichen Abschiebungen – welche auch während der Pandemie weiterhin nach Afghanistan fortgesetzt wurden – sondern auch vor einer möglichen Ansteckung mit Covid-19.
Für viele Geflüchtete, besonders in Gemeinschaftsunterkünften, besteht diese Angst weiter. Rama, eine junge Geflüchtete aus Syrien erzählte mir: „Mit dem online Unterricht klappt jetzt alles. Am meisten Angst habe ich davor, in Quarantäne zu müssen und noch mehr Unterricht zu verpassen.“ Diese Angst ist besonders bei Schüler:innen in Gemeinschaftsunterkünften präsent, da dort oft nicht die notwendigen Hygienemaßnahmen eingehalten werden können. Diese ständige Angst und Ungewissheit ist für viele Geflüchtete eine weitere Hürde, erfolgreich und effizient am Unterricht teilzunehmen.
Dies ist nur ein kurzer Einblick in die unzähligen und individuellen Hürden, die vielen Schüler:innen mit Fluchtgeschichte den Lernerfolg erschweren. Auch wenn die Schulen nicht erneut geschlossen werden sollten, besteht dringender Handlungsbedarf, um die Bildungsbenachteiligung Geflüchteter zu verringern.
Zunächst muss das Recht auf Internet für alle Schüler:innen gesichert werden. Zugangsfreie Internetanschlüsse und eine ausreichende technische Ausstattung sind nicht nur für die Lernerfolge essenziell, sondern auch für den Zugang zu Informationen und die erfolgreiche Kommunikation zwischen Schüler:innen/Eltern und Schule. Außerdem muss die Wohnsituation der geflüchteten Schüler:innen nachhaltig verbessert werden, indem es eine Höchstdauer für die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften gibt und bezahlbarer Wohnraum für Familien mit Fluchtgeschichte geschaffen wird. Des Weiteren müssen Lehrkräfte bei der Schaffung digitaler Angebote, angepasst auf die Bedarfe von Schüler:innen mit Fluchtgeschichte, unterstützt werden.
Positiver Ausblick
Trotz großer Hürden, besonders für geflüchtete Kinder und Jugendliche, hat sich in den letzten Jahren schon vieles zum Positiven geändert. In vielen Schulen ist kulturelle Vielfalt nicht nur sichtbar, sondern wird gefördert und unterrichtet. Und auch politisch gibt es viele Schritte in die richtige Richtung. So zum Beispiel der Beschluss in NRW von August 2020, der allen jungen Geflüchteten in zentralen Unterbringungseinrichtungen ein Bildungsangebot insbesondere zum Spracherwerb zusichert.
Eine besondere Verantwortung und Möglichkeiten für eine nachhaltig erfolgreiche Integration liegen jedoch auch bei den einzelnen Kommunen. Viele Kommunen sind bereits dabei, sich weltoffen aufzustellen und ihre Integrationsarbeit zu verbessern. Wo sich eine Kommune auf dem Weg zur Weltoffenheit befindet, kann sie mit Hilfe unseres Projekts Weltoffene Kommune selbst einschätzen.
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Danke für den guten Einblick in dieses wichtige Thema.