Ich konnte es kaum glauben, das musste ich wirklich zweimal lesen.
Europas Autohersteller wollen aus dem Abgasskandal nun offensichtlich auch noch Kapital schlagen. Weil sich Dieselautos derzeit schlecht verkaufen, seien die CO2-Sparziele für 2021 in Gefahr. Deshalb müsse die EU zum wiederholten Mal Milde walten lassen, verlangt die Automobilindustrie.
Anstatt nun erst einmal kleinere Brötchen zu backen und sich um das arg ramponierte eigene Image zu kümmern, fällt der europäischen Autoindustrie nichts Anderes ein, als kontraproduktive Forderungen zu stellen. Schon vergessen, der Unmut ungezählter Autofahrer angesichts des massiven Wertverlustes ihrer Dieselfahrzeuge? Unwichtig, die kontroversen Diskussionen um Dieselfahrverbote und Blaue Plakette? Abgehakt, die mageren Ergebnisse des Dieselgipfels im Kanzleramt?
Nur noch 95 Gramm Kohlendioxid ab 2021
Der nach dem Skandal voraussehbare massive Absatzeinbruch bei Dieselfahrzeugen lässt die europäischen Autohersteller zunehmend zweifeln, dass sie die EU-Klimavorgaben für die kommenden Jahre erfüllen. „In unserer Branche herrscht große Sorge, ob wir das Ziel für 2021 erreichen …“ sagte der Generalsekretär des europäischen Automobilindustrie-Verbandes Acea, Eric Jonnaert. Und damit nicht genug. Er sprach sich auch gleich für eine Senkung der geplanten Vorgaben für die Jahre bis 2030 aus. Schließlich müssten die längerfristigen Ziele „realistisch“ bleiben.
Zudem warnt Acea vor massiven Jobverlusten durch eine forcierte Umstellung auf Elektroautos als Folge schärferer CO2-Grenzwerte. Keine Rede davon, dass wegfallende Arbeitsplätze durch eine verstärkte Investition in neue Geschäftsfelder neu entstehen können.
Abstimmung des EU-Parlaments Anfang Oktober
Seit 2009 reguliert die Europäische Union den CO2-Ausstoß von Autos. Nur noch 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer dürfen Neuwagen ab 2021 ausstoßen. Tatsächlich lag der Wert 2017 im Schnitt bei 118,5 Gramm – mit leicht steigender Tendenz. Wenn die Vorgaben nicht eingehalten werden können, werden hohe Strafen fällig.
Fachleute sehen durchaus eine Chance, dass die Klimaziele für die Industrie noch erreicht werden können. Notfalls müssen Hersteller hohe Rabatte auf sparsame Autos gewähren, um hohe, das Image weiter schädigende Strafzahlungen zu vermeiden. Aus Sicht des International Council on Clean Transportation (ICCT) übertreiben die Unternehmen schlichtweg mit ihren Sorgen. Die Firmen hätten auch noch längst nicht alle technischen Potenziale ausgereizt.
Verband will lasche Ziele bis 2030
Für die Jahre 2021 bis 2030 lehnen die Autobauer die Pläne der EU-Kommission strikt ab, eine dringend notwendige Senkung der CO2-Werte um 30 Prozent vorschreiben. Vehement warnt der Verband davor, dieses Ziel sogar auf 50 Prozent zu erhöhen. Dafür hatte sich unter anderem Bundesumweltministerin Svenja Schulze ausgesprochen. Umweltverbände forderten gar 60 bis 70 Prozent CO2-Minderung bis 2030.
Mobilität neu denken!
Egal, wie diese Zahlenjonglage nun am Ende ausgehen mag. Wenn wir die Ziele der Agenda 2030, auf die wir uns alle gemeinsam verständigt haben, auch nur annähernd erreichen wollen, kann es nur eine sinnvolle Richtung geben. Und das ist eine Verschärfung der Grenzwerte.
Wir müssen anfangen, „Mobilität“ radikal neu zu denken und aufhören, die Automobilindustrie, die noch immer in ihrer klassischen Argumentation verhaftet ist, mit Samthandschuhen anzufassen. Beispiele für innovative Mobilitätskonzepte gibt es genug: Stockholm, Amsterdam. Und auch in Deutschland haben sich nachhaltigkeitsbewusste Verwaltungschefs darangemacht, in die umweltfreundliche mobile Zukunft zu denken: in Bonn, Essen, Herrenberg, Mannheim und Reutlingen beispielsweise.
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