Nun ist es also wieder so weit, einmal mehr sind wir mächtig über’s Ziel hinausgeschossen!
Am 1. August 2018 haben wir es zum X-ten Mal in Folge geschafft, für den Rest des Jahres weltweit nicht mehr nachhaltig, sondern nur mehr durch Raubbau zu leben. Eingeweihte nennen diesen Tag der ökologischen Überschuldung den „Earth Overshoot Day“. Dieser „Erdüberlastungstag“ oder „Welterschöpfungstag“ ist der Tag, an dem die globale Nachfrage nach natürlichen Ressourcen die Fähigkeit der Erde, diese Ressourcen auf nachhaltige Weise – also nachwachsend – zur Verfügung zu stellen, überschreitet. Ab jetzt also leben wir bis zum kommenden Jahr vom „Dispo“, würde die Sparkasse sagen. Und das ist bekanntlich teuer.
Noch 1987 hatten wir unser Ökokonto nur leicht überzogen. Damals war der Earth Overshoot Day erst am 19. Dezember. Damit könnte man leben. Aber seither rutscht dieser Tag im Kalender immer weiter nach vorne. Im Jahr 2000 war es der 1. November, 2010 schon der 21. August. Allein für Deutschland betrachtet übrigens sieht es noch verheerender aus. Da hatten wir unsere Ressourcen für 2018 schon am 2. Mai aufgebraucht.
Alarmierende Zahlen – einen Aufschrei zumindest in der Nachhaltigkeitscommunity könnte man erwarten. Aber weit gefehlt! Was also läuft schief in der Nachhaltigkeitsdebatte? Zeit für ein paar sehr persönliche Gedanken.
Komfortable Ausgangslage
Auch wenn wir es nicht ständig vor Augen haben: Eigentlich ist die Ausgangslage in Sachen Nachhaltigkeit komfortabel im Sommer 2018 in Deutschland. Wir haben eine international anerkannte Nachhaltigkeitsstrategie auf Bundesebene und den Rat für Nachhaltige Entwicklung als wertvolles Korrektiv. Es gibt – teils mehrfach überarbeitete – Nachhaltigkeitsstrategien in der Mehrzahl der Bundesländer. Und immer mehr Städte und Gemeinden machen sich auf den Weg, ihr Handeln an den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen auszurichten und beispielsweise die Musterresolution des Deutschen Städtetages für nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene zu unterzeichnen.
Mit der Agenda 2030 und den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) mit ihren insgesamt 169 Unterzielen haben wir einen bindenden Referenzrahmen, der international anerkannt vorgibt, was wir bis zum Jahr 2030 anpacken müssen, wenn die Welt nicht noch weiter aus den Fugen geraten soll: Keine Armut, kein Hunger, Gesundheit und Wohlergehen, Gleichstellung der Geschlechter, Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster, Internationale Entwicklungspartnerschaften, um nur einiges zu nennen.
Strategien und Konzepte gibt es genug
Nachhaltigkeitsstrategien gibt es mehr als genug. Es gibt Klimaschutz- und Mobilitätskonzepte, Meilensteine für eine flächensparende Siedlungsentwicklung, städtische Grünordnungen, Divestment-Projekte, nachhaltige Stadtentwicklung und, und, und. Es gibt fast nichts, was es nicht gibt in Sachen Nachhaltigkeit. Um mich an dieser Stelle nicht falsch zu verstehen: Das alles ist richtig und wichtig und mit hoher Professionalität und viel Herzblut erarbeitet! Aber die Frage muss erlaubt sein, warum wir trotz aller theoretischen Fundierung an den relevanten Stellen nicht wirklich weiterkommen. Denn sonst wären unsere Ressourcen nicht nach 7 Monaten schon am Ende.
Wir wissen, dass 2050 mehr Plastikmüll in den Meeren schwimmt als Fische, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir sind uns bewusst, dass 320.000 eigentlich nicht recyclebare Coffee to Go-Becher pro Stunde allein in Deutschland viel zu viel sind. Jeder Deutsche produziert jährlich 220 Kilo Verpackungsmüll. Damit sind wir laut Umweltbundesamt trauriger Spitzenreiter in Europa. Wir haben zwar endlich die kostenlose Plastiktüte beim Einkauf verbannt und diskutieren nun eifrig, ob möglicherweise auch Einweg-Strohhalme verboten gehören – das eigentliche Abfallproblem blenden wir aus. Warum beispielswiese nutzen wir das enorme Potenzial, das die Kreislaufwirtschaft bietet, noch immer nicht annähernd?
Eher ein Umsetzungs-, als ein Erkenntnisproblem
Wahrscheinlich liegt unser Problem nicht nur in der Erkenntnis, sondern vor allem in der Umsetzung. Auf jeden Fall in der Umsetzungsgeschwindigkeit. Natürlich macht es im Zuge des Dieselskandals Sinn, über den Nutzen räumlich eng begrenzter Fahrverbote und die Einführung einer Blauen Plakette zu diskutieren. Aber irgendwann muss die Diskussion ein Ende haben, müssen Dinge entschieden werden! Denn die Zeit läuft. Nicht für uns, sondern gegen uns. Der Klimawandel verstärkt sich beinahe unaufhaltsam, die Artenvielfalt ist bedrohter denn je, täglich werden in Deutschland hektarweise Flächen versiegelt.
Verantwortung für künftige Generationen
Wir haben Verantwortung für künftige Generationen. Nicht ohne Grund wird Nachhaltigkeit oft als „Enkeltauglichkeit“ umschrieben. Es liegt an uns, in welchem Zustand wir die Welt an unsere Kinder und deren Kinder weitergeben. Nachhaltige Entwicklung ist ein Langzeiterfordernis par excellence. So unterschiedlich man Nachhaltigkeit auch definieren mag: Sozialer Zusammenhalt und Gerechtigkeit, ökonomische Vitalität und Robustheit sind für uns zwar heute elementare Bedingungen. Das darf aber nicht auf Kosten der lebenswichtigen Natursysteme künftiger Menschheitsgenerationen und der Menschen in ärmeren Teilen der Welt gehen. Nachhaltigkeit heißt eben nicht – wie ich unlängst gelesen habe – dass „alles da ist, für jeden und jederzeit“.
Erforderlich sind konsequente Entscheidungen auf der Basis langfristigen Denkens. Die Belange der Zukunft müssen in unser Gegenwartshandeln einbezogen werden.
Veränderte Werthaltungen
Meine feste Überzeugung: Der Grund, warum es nicht schnell genug voran geht in Nachhaltigkeitsbelangen, liegt tiefer. Nachhaltigkeit hat meines Erachtens (auch) immer etwas zu tun mit grundlegenden Werthaltungen und einer ganz persönlichen Einstellung der Sache gegenüber.
Überspitzt ausgedrückt bringt uns „Kaufen, öffnen, wegwerfen“ nicht weiter. Im Gegenteil. Ich glaube, Nachhaltigkeit hat immer etwas zu tun mit Respekt, Achtsamkeit und wahrscheinlich auch Verzicht. Im Grunde müssen wir, wenn sich etwas ändern soll, nicht nur unser tägliches Handeln, sondern unsere Lebenseinstellung und die ihr zugrundeliegenden Werte hinterfragen. Jeder und Jede für sich. In eigener Verantwortung.
Ich persönlich zum Beispiel kann die „Nehmen Sie 3 Teile und Sie bekommen das Günstigste geschenkt“- Mentalität nicht ausstehen. Und „Geiz ist geil!“ mag ich schon gar nicht. Ich gehe gerne in den kleinen Elektroladen bei mir um die Ecke. Drei Familien leben davon, drei Generationen mit elf Personen. Der neue „Unverpackt“ bei mir im Viertel ist eine echte Wohltat.
Freunde sagen, ich sei in letzter Zeit zum „Minimalisten“ geworden. Ein wenig übertrieben vielleicht, aber sicherlich ist Wahres dran. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn ich zum Beispiel in meinem Kleiderschrank nur noch (vergleichsweise wenige) Sachen habe, die wirklich zu mir passen und die ich gerne anziehe. Und die ihren Preis haben, weil sie eben vernünftig hergestellt sind und lange halten. Was ich ein Jahr lang nicht in der Hand hatte geschweige denn angezogen habe, kommt in den Kleidercontainer. Fertig. Eine überschaubare Anzahl an Dingen um sich herum zu haben und relativ wenige aber persönlich wertvolle Sachen zu besitzen, hat Vorteile. Die Dinge wirken anders und man selbst ist klarer, strukturierter, aufmerksamer. Man konzentriert sich auf das Wesentliche und das, was man wirklich braucht.
Fangen wir an. Heute!
Ich bin weit davon entfernt, irgendjemand Vorschriften zu machen und mich in fremder Leute Leben einzumischen! Aber dass wir so, wie wir es tun, nicht weitermachen können, ist auch klar. Fangen wir also an, etwas zu ändern – Jede und Jeder für sich auf eine ganz eigene Art und Weise. Und nicht nächste Woche oder morgen. Heute wäre gut.
Vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam, den Overshoot Day wieder weiter nach hinten zu rücken im Kalender.
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