Spätestens seit Corona besteht Einigkeit, dass Pflegende systemrelevant sind und Applaus nicht reichen wird. Um den sich verstärkenden Pflegenotstand zu reduzieren, wurde Pflege noch stärker auf die Agenda gesetzt. Die Herausforderungen sind jedoch regional sehr unterschiedlich und damit müssen Kommunen ihre individuellen Lösungen entwickeln.
Nachvollziehbar ist die Forderung nach einer deutlich besseren Bezahlung und es ist zu hoffen, dass dies jetzt zügig umgesetzt wird. Auch kann eine Pflegevollversicherung eine sinnvolle Maßnahme sein, um Armut durch Pflege zu verhindern. In diesem Beitrag geht es aber um kommunale Herausforderungen und Lösungen.
Pflegenotstand – einige Indikatoren und Begleiterscheinungen
Aktuell fehlen bundesweit rund 70.000 Pflegefachkräfte und bis 2030 könnte sich diese Lücke auf bis zu 500.000 Fachkräfte erhöhen. Diese abstrakten Zahlen sind aber nicht aussagekräftig wenn es um Situationen in Pflegeheimen oder privaten Haushalten geht, wo Menschen vielleicht nicht menschenwürdig versorgt werden können, obwohl sich die Pflegenden selbst ausbeuten.
Diese hohen physischen und psychischen Belastungen sowie eine schlechte Vergütung führen viel zu oft zu einem Ausstieg aus dem Pflegeberuf. Über die Hälfte der Pflegekräfte in Deutschland denkt laut Pflexit-Monitor aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen über einen Ausstieg aus ihrem Beruf nach.
Fachkräftemangel gibt es inzwischen in vielen Branchen und diese haben teils deutliche Vorteile im Wettbewerb um qualifizierten Nachwuchs für die Pflegebranche.
Unterschiedliche regionale Betroffenheit
Ein massiver Pflegenotstand besteht noch nicht flächendeckend und auch andere Indikatoren zeigen eine sehr unterschiedliche regionale Problematik. So lag der Anteil pflegebedürftiger Menschen 2018 nach unserem Wegweiser im Landkreis Freising bei nur 1,9 Prozent während der Landkreis Uckermark hier einen Wert von 8,2 Prozent aufweist. Damit war im Landkreis Freising nur jeder 20. pflegebedürftig und im Landkreis Uckermark dagegen jeder 12. Hieraus entstehen unterschiedliche Herausforderungen und Lösungsnotwendigkeiten für die kommunale Pflegeinfrastruktur.
Große Unterschiede gibt es auch bei den Anteilen der ambulant oder stationär versorgten Pflegebedürftigen. Im Landkreis Waldshut wurden 2018 laut Wegweiser nur 12,8 Prozent der Pflegebedürftigen ambulant gepflegt, während Passau hier einen Wert von 44 Prozent erreicht. Damit erzielt Passau bei der Wunschpräferenz „ambulant vor stationär“ einen deutlich besseren Wert.
Weitere Unterschiede bestehen auch bei anderen Pflegeindikatoren wie zum Beispiel bei den verfügbaren Plätzen in Pflegeheimen. Zukunftsorientierte Akteure sollten anhand von Pflegeindikatoren ihre aktuellen und künftigen Pflegesituationen transparent machen.
Mehr Pflegebedürftige in allen Regionen
Sicher ist jedoch, dass sich alle Kommunen schon jetzt auf die wachsende Pflegeproblematik und Versorgungslücken einstellen müssen. Viele Kommunen haben dies auch schon durch seniorenpolitische Konzepte oder Pflegekonzepte getan.
Wenn die geburtenstarken Babyboomer ins Pflegealter kommen, wird unser System mit den immer noch dominierenden familiären Pflegeleistungen stärker unter Anpassungsdruck geraten und auch die Pflegelücken werden deutlich größer.
Kommunale Pflegefragen
Die regional unterschiedlich ausgeprägten Herausforderungen und die hierzu notwendigen Lösungsideen können zukunftsorientierte Akteure durch die Beantwortung folgender Fragen einleiten:
- Wie sieht unsere aktuelle Pflegesituation (z. B. Anzahl der Pflegebedürftigen, Pflegelücken, ambulante, teilstationäre und vollstationäre Anteile, kommunale Ausgaben für Hilfe zur Pflege, Pflegebedürftige nach Pflegegraden, Bedürfnisse der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen) aus?
- Wie wird sie in 10 Jahren aussehen?
- Welche Konzepte und Maßnahmen haben wir jetzt?
- Was werden wir künftig benötigen?
- Welche Informationen haben wir für Quartiere und kleinere Sozialräume?
- Welche guten Beispiele gibt es?
Neben den oben genannten Datenbeispielen aus unserem Wegweiser sollten ergänzend Quartiersdaten erhoben werden, denn es gibt nicht nur zwischen den Kommunen und Regionen sondern auch zwischen den einzelnen Quartieren und Sozialräumen große Unterschiede.
Hierzu sind repräsentative Befragungen und Auswertungen auf Quartiersebene oder auch gute Beispiele anderer Kommunen hilfreich.
Was können Kommunen tun?
Inzwischen gibt es immer mehr Kommunen mit einer zukunftsorientierten Pflegestrategie, aber es gibt auch Kommunen, die kaum Vorkehrungen gegen den drohenden Pflegenotstand getroffen haben.
Am Start einer kommunalen Pflegestrategie könnte eine Analyse anhand unseres Wegweisers erfolgen. Hier können auf Landkreisebene oder für kreisfreie Städte eine Vielzahl von Pflegedaten bis zu Pflegeprognosen auf Knopfdruck ermittelt werden. Darüber hinaus bietet der Wegweiser z. B. Altersstrukturprognosen, um den künftigen Fachkräftemangel oder den Anteil von Einpersonenhaushalten mit einem möglicherweise geringen Pflegepotenzial einschätzen zu können. Diese Daten sind durch Stadtteil- oder Quartiersdaten zu ergänzen, da Pflegebedarf und -angebote meist sehr unterschiedlich ausfallen.
Ein weiterer früher Schritt ist die kommunale Vernetzung mit so genannten kommunalen Stakeholdern. Dies kann durch einen Vernetzungsworkshop entstehen, zu dem Akteure aus verschiedenen Bereichen (z. B. Pflege, Wohnen, Engagement, Gesundheit, Hospiz – und Palliativversorgung oder Seniorenpolitik) eingeladen werden.
Dieser Workshop dient der ersten Vernetzung und einer möglichst Daten gestützten Sensibilisierung der Akteure. Außerdem können hier fehlende Vernetzungspartner identifiziert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass Akteure nicht nur fachlich kompetent sind, sondern auch verlässlich mitarbeiten können und einen kommunalen Einfluss auf die Verbesserung der Situation für Pflegende und Pflegebedürftige haben.
Im Rahmen eines Workshops können kommunale Gesundheitsförderungsangebote, Pflege- oder Gesundheitskonferenzen, „Palliativteams“ (Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Seelsorger), Entlastungsangebote für Pflegende, Hospiz- und Palliativangebote oder Verbesserungen durch Digitalisierung und Assistenzsysteme initiiert werden. Darüber hinaus können familiale und ehrenamtliche Ressourcen gestärkt sowie Pflegekräfte aus dem Ausland oder Menschen aus der „Pflegereserve“ akquiriert werden.
Ein Blick in die Zukunft
Die kommunale Pflegeproblematik wird sich – regional sehr unterschiedlich – verschärfen, Pflege und Pflegeversicherung werden teurer und die Gesellschaft wird sich darauf einstellen.
Mehr Menschen bleiben Singles oder kinderlos und bilden soziale Netzwerke mit niedrigschwelligem Hilfepotenzial. Hausgemeinschaften, generationengerechtes Wohnen, ehrenamtliches und nachbarschaftliches Engagement unterstützen familiäre und professionelle Pflege.
Der Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften wird stärker durch ausländische Pflegekräfte gedeckt und Unternehmen erkennen im steigenden Wettbewerb um Fachkräfte die Vorteile einer besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf.
Zukunftsorientierte Akteure in Kommunen erkennen die enorme Bedeutung dieses Themas, setzten es auch auf die kommunalpolitische Agenda und leisten hierdurch einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung einer besseren Lebensqualität.
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