Noch vor wenigen Tagen wurde diskutiert, ob uns ein negatives Coronaszenario mit einem Therapie- und Pflegenotstand droht. Ein Blick auf einige europäischen Nachbarländer zeigt den Notstand und reale Horrorszenarien. In Niedersachsen nehmen Pflegeheime inzwischen keine neuen Patienten mehr auf und damit verstärkt sich auch bei uns die Pflegeproblematik. Aber auch ohne Corona sind wir im Pflege- und Gesundheitsbereich personell quantitativ nicht so gut aufgestellt.
Negativszenario für Therapie und Pflege
Der Pflegereport der Bertelsmann Stiftung prognostizierte schon vor einigen Jahren bis 2030 ca. 50 % mehr Pflegebedürftige und eine Versorgungslücke von 500.000 Vollzeitkräften. Die aktuellen Erfolgsmeldungen über neue akquirierte Pflegekräfte sind zwar erfreulich, aber nicht annähernd ausreichend und bereits kurzfristig zeichnet sich ein Therapie- und Pflegenotstand ab, der durch die Coronakatastrophe verstärkt wird und durch folgendes Szenario skizziert werden kann:
- Ausländische Pflegekräfte fehlen, weil sie aus Angst vor Infektionen Deutschland verlassen oder nicht mehr einreisen dürfen.
- Der Krankenstand bei Pflegekräften und Patienten steigt und führt zu deutlich mehr Pflegebedarf und deutlich weniger Pflegeangeboten.
- Pflegeheime und Krankenhäuser können Pflegebedürftige nicht mehr aufnehmen, fehlendes familiäres und außerfamiliäres Unterstützungspotenzial verstärken die Problematik nochmals deutlich.
- Einsamkeit älterer Menschen sowie Gewalt in der Pflege nehmen deutlich zu und Pflege- und Unterstützungsbedürftige sterben allein in ihren Wohnungen.
- Die zunächst ausreichend vorhandenen Kapazitäten an Kliniken, Betten, Diagnostik und Beatmungstechnik können aufgrund des Fachkräftemangels in Kliniken nicht genutzt werden.
- Deutlich steigende Sterbefälle überfordern die Kapazitäten der Leichenhallen und wie bereits in anderen Ländern werden Zelte und Lebensmittelkühlfahrzeuge als provisorische Leichenhallen genutzt.
Dies sind nur einige Beispiele und kleine Signale zeigen hoffentlich, dass wir nicht ein komplettes Horrorszenario erleben. Gleichzeitig müssen wir uns die Frage stellen, wie es nach Corona weitergehen kann, um ein positives Pflegeszenario auch durch kommunale Lösungen zu realisieren.
Datenbasiert arbeiten
Datenbasierte Arbeit ist bei der strategischen Lösungssuche ein erster Schritt, um das Thema Pflege bei Entscheidenden auf die kommunale Agenda zu setzen. Hier bietet unser Wegweiser für Kommunen ab 5.000 EinwohnerInnen hilfreiche Daten und erste Antworten auf wichtige Fragen zum Thema Pflege:
- Wie lautet die Bevölkerungsprognose bis 2030?
- Wie entwickelt sich die Anzahl der Hochaltrigen bis 2030?
- Wie entwickelt sich die Anzahl der Pflegebedürftigen bis 2030?
- Wie entwickelte sich in den letzten Jahren die Ab- und Zuwanderung jüngerer Menschen und damit ein möglicher Fachkräftemangel?
- Wie entwickelt sich der Anteil von Einpersonenhaushalten oder Haushalten mit Kindern und damit das mögliche Hilfepotenzial in den Haushalten?
- Wie entwickeln sich die Erwerbsquoten von Frauen oder der 55- bis 64-Jährigen, die ja wichtige Unterstützungen für Hilfsbedürftige realisieren?
- Wie entwickelt sich auf Kreisebene der Pflegemix (vollstationäre, teilstationäre und ambulante Pflege)?
- Wie entwickelt sich auf Kreisebene der Anteil von Pflegegeldempfängern, was ebenfalls ein Indikator für das dortige Hilfepotenzial sein kann?
- Wie entwickelt sich die Altersarmut, was auch ein möglicher Faktor für ein erhöhtes Pflegerisiko ist, denn wer arm ist, hat auch ein größeres Krankheits- und Pflegerisiko?
Kommunale Daten sollten möglichst auf Stadtteilebene oder besser sogar auf Quartiersebene erhoben werden, um den spezifischen Handlungsbedarf abzuschätzen und hier sind Befragungen eine wichtige Methode.
Soziale Netzwerke ermitteln und stärken als kurzfristige Lösungsmöglichkeit
Auf kommunaler Ebene – möglichst sogar auf Quartiersebene – geht es zunächst darum die kommunalen Netzwerkpotenziale nach Quartieren zu ermitteln. Die Gemeinde Hinte hat dies im Rahmen ihres seniorenpolitischen Konzeptes durch folgende Fragen erhoben:
- Haben Sie, außer weiteren Verwandten, gute Freunde oder Bekannte, die Sie jederzeit um Rat oder Hilfe bitten könnten?
- Wie oft haben Sie Kontakt zu diesen Menschen? Wo wohnen diese Menschen?
- Wie gut kommen Sie im Alltag zurecht?
- Wie bewerten Sie Ihren derzeitigen Gesundheitszustand?
- Sind Sie derzeit gesundheitlich so eingeschränkt, dass sie deshalb regelmäßige Hilfe, Pflege oder andere Unterstützung benötigen?
- Welche Form von Unterstützung benötigen Sie regelmäßig?
- Durch wen erhalten Sie Hilfe oder Unterstützung?
- Gibt es Personen, die von Ihnen privat oder ehrenamtlich betreut oder gepflegt werden oder denen Sie regelmäßig Hilfe leisten?
Diese Bedarfsermittlung sollte durch eine Angebotsanalyse ergänzt werden und hier stehen aktuelle Pflegeangebote (vollstationäre, teilstationäre und ambulante Pflege) und die vorhandenen Anbieter im Vordergrund.
Aufgrund dieser Daten können dann in Workshops Angebotslücken sowie Ideen und Lösungen zur Stärkung der Netzwerke erarbeitet werden und in Hinte konnten bereits einige so genannte „Ortskümmerer“ auf ehrenamtlicher Basis gewonnen werden.
Mittel- bis langfristige Lösungen auf Bundesebene
Abendlicher Applaus für systemrelevante Berufe reichen nicht aus. Im Gesundheits- und Sozialwesen lag der Bruttomonatsverdienst 2019 bei 4.027 Euro. Im Finanz- und Versicherungsdienstleistungsbereich lag das Durchschnittsgehalt dagegen bei 5.447 Euro
Damit erhalten Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen mehr als ein Drittel weniger und dies ist selbst in coronafreien Zeiten nicht zu rechtfertigen! Bessere Bezahlung gerade im Gesundheits- und Sozialwesen wäre daher eine überfällige Maßnahme und ebenso bessere Arbeitsbedingungen durch Entlastung.
Gleichzeitig müssen wir die Chancen der Migration nutzen, denn der bereits bestehende Fachkräftemangel wird sich künftig deutlich verstärken.
Es gibt also viele zu tun auf kommunaler Ebene, aber auch auf Ebene des Bundes und der Länder.
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Zum Durchschnittsgehalt des Gesundheits- /Sozialwesens:
Duuuurchschnitt!
Davon können wir Physiotherapeuten als Teil der Systemrelevanten träumen.
Uns geht es oft noch schlechter als den in der Pflege Tätigen. Es wird keiner glauben aber ich kenne Vollzeitkräfte, die von 1000 im Monat leben müssen. Da
Diejenigen von uns , die „ungesichert“ in freien Praxen – und nur wenige z.b. in Schulen angestellt sind, geht jetzt die Kurzarbeit los. Einige müssen ergänzend Grundsicherung beantragen. Soll ich davon berichten, dass wir keine MNS Masken oder gar Bessere bekommen? Welche Praxis ist gerade damit ausreichend ausgestattet? Wie viele haben wohl 1ne für die nächsten Wochen? Kein Wechsel wie erforderlich möglich! Dafür dürfen wir aber alle in noch härteren Pandemiezeiten “ zwangsverpflichtet “ in KH’s arbeiten. Wer weiss, wie viele Pflegende, Physios, Ergos… bis dahin schwer erkrankt waren, von dem Anteil der Verbreitung nicht zu schweigen. Kennt ihr auch covid 19 Kiga-Eltern, die umfangreich in Quarantäne gehört hätten…?
ja, der „Durchschnitt“ lügt und ich habe mich auf die offiziell verfügbaren Informationen gestützt. Zu hoffen ist, dass es nur ganz wenig Fälle sind, die wirklich so wenig verdienen und jeder einzelne Fall ist einer zu viel! Es muss mehr Geld ins System und wir müssen bereit sein, dies zu finanzieren.
der normale Wahnsinn in der Pflege verstärkt sich durch Corona. Hier Ergebnisse einer Studie der Uni Köln: http://www.imvr.de/uploads/Pflegerische_Versorgung_in_Zeiten_von_Corona_Ergebnisbericht.pdf