Medien berichten immer häufiger über die gestiegene Altersarmut bei Frauen, Überschuldung bei älteren Menschen, die gestiegene Obdachlosigkeit oder über die Problematik des deutlich steigenden Eigenanteils an den Pflegekosten.
Immer mehr Ältere in der Schuldnerfalle
Die Anzahl der über 70-jährigen, die die Creditreform als überschuldet zählt, ist in diesem Jahr um 45 % auf 381.000 gestiegen, während die jüngeren Altersgruppen bis 49 Jahre erfreulich sinkende Überschuldungsquoten aufweisen. Besonders problematisch ist dies, weil Menschen im Ruhestand weniger Chancen haben, ihre Lage zu verbessern. Ursachen der Überschuldung sind die Rentenreform der vergangenen Jahrzehnte, der deutlich steigende Anteil des Niedriglohnsektors, der Anstieg der Mieten und der deutlich steigende Eigenanteil der Pflegekosten.
Tatsache ist aber auch, dass Ältere häufig Ihnen zustehende Sozialleistungen (Grundsicherung im Alter) nicht in Anspruch nehmen.
In Berlin werden Obdachlose gezählt
In ihrer Ausgabe vom 20. November 2019 berichtet die taz, dass in Berlin erstmals Menschen gezählt werden, die auf der Straße leben und damit als erste deutsche Stadt eine langjährige Forderung von Wohlfahrtsverbänden und Sozialarbeitern erfüllt. Eigentlich ein Skandal, dass wir in einem reichen Land über diesen Zustand keinerlei Informationen haben und zu hoffen ist, dass auch andere Kommunen nachziehen.
Am 29. Januar 2020 sollen Teams die Stadt ablaufen und es werden noch Freiwillige gesucht, die sich auf dieser Website anmelden können. In Berlin soll auf Grundlage der erhobenen Daten das Hilfs– und Beratungsangebot angepasst werden.
Spiegel online berichtete am 11. November 2019, dass die Zahl der wohnungslosen Menschen 2018 bundesweit auf 678.000 Menschen geschätzt wurde und dies 4,2 % mehr als im Vorjahr waren. Ein kürzlich verabschiedetes Gesetz sieht vor, dass eine bundesweite Datengrundlage über das Ausmaß sowie die Struktur von Wohnungslosigkeit geschaffen werden soll.
Große Armutsunterschiede nach Geschlecht, Altersgruppen und Regionen
Die Armutsrisiken sind sehr unterschiedlich ausgeprägt und das Armutsrisiko von Männern oder älteren Menschen ist immer noch deutlich niedriger als bei Frauen oder Kindern und Jugendlichen. Zudem gibt es große regionale und lokale Unterschiede, die für Kommunen ab 5.000 Einwohnern in unserem Wegweiser recherchiert werden können.
Kommunale Stellschrauben
Die wichtigsten Stellschrauben zur Vermeidung von Altersarmut liegen neben den individuellen Möglichkeiten auf der Bundesebene. Gleichwohl gibt es eine Reihe kommunaler Möglichkeiten, die Auswirkungen der Altersarmut zu reduzieren beziehungsweise langfristig Altersarmut zu reduzieren oder sogar zu vermeiden.
Denkbar sind hier folgende Möglichkeiten:
- Analyse der aktuellen und künftigen Betroffenheit möglichst nach Quartieren in Form eines Armutsberichtes
- Bevölkerungsbefragung und Auswertung nach Quartieren
- Von guten Beispielen anderer Kommunen lernen (z. B. Seniorenpolitisches Konzept)
- Vernetzung fördern (z. B. Akteure aus den Bereichen Bildung, Wirtschaft, Soziales, Gesundheit)
- kommunale Akteure erarbeiten in einem Workshop kommunale Herausforderungen und Ideen
Im Rahmen eines Workshops können dann passende, teils auch präventive Ideen zur Reduzierung der Armutsproblematik entwickelt werden, wie z. B.:
- Beratung zu Grundsicherungsansprüchen, Schulden, Tafelangeboten oder Gesundheitsförderung
- Vergünstigungen kommunaler Angebote (z. B. Bildung, Gesundheit, Kultur, Sport, Freizeit, ÖPNV)
- Barrierefreier, hochwertiger Wohnraum auch für ärmere Menschen und Schaffung einer lebenswerten Wohnumgebung auch in ökonomisch schwachen Quartieren
- Isolation der altersarmen Menschen durchbrechen: Unterstützung von Selbsthilfestrukturen (Nachbarschaftstreffs, Ehrenamt, Vereine), Seniorengenossenschaften, Mehrgenerationenhäuser
- Engagementförderung für Ärmere, aber auch durch Ärmere
- Bildungsprojekte für alle Altersgruppen, Migranten, Arbeitslose
- Schaffung neuer Arbeitsplätze durch kommunale/regionale Wirtschaftsförderung
- Arbeitgeber und Mütter zur baldigen Rückkehr von Müttern in den Beruf motivieren (flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, schnelles Internet, soziale Netzwerke und Engagement auch für Kinderbetreuung)
- (betriebliche) Gesundheitsförderung ermöglicht längeres Arbeiten und höhere Rentenansprüche
- gute Kinderbetreuungsangebote in Kitas und Ganztagsschulen mit flexiblen Öffnungszeiten
In der kommunalen Analyse steht zunächst eine Einschätzung der Armutsrisiken im Vordergrund. Dies können z. B. sein: unterbrochene Erwerbsbiografien, Alleinlebende, niedriges Einkommen, Migrationshintergrund, Geringqualifizierte oder nicht erwerbstätige Frauen.
Zu allen diesen Risiken finden Sie in unserem Wegweiser Kommune Informationen für Ihre Kommune. Aber es gibt auch weitere Risiken wie z. B. gesundheitliche Beeinträchtigung vor allem älterer Menschen oder Soloselbständigkeit ohne finanzielle Absicherung. Hierzu bieten sich Befragungen an, um die notwendige Transparenz zu verschaffen und ein gutes Beispiel findet sich hier.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Betrachtung von Quartieren oder Sozialräumen, denn Armut spielt sich meist in ökonomisch benachteiligten Quartieren ab. Armut ist übrigens ein Faktor, der sich massiv auf die Lebensqualität der Menschen auswirkt: Wer arm ist, ist kränker, früher pflegebedürftig und stirbt früher. Ärmere Menschen sind gleichzeitig auch einsamer und haben eine geringere soziale Teilhabe.
Angesichts der kommenden Wahlen ist davon auszugehen, dass Altersarmut nicht nur in den nächsten Monaten ein sehr wichtiges Thema sein wird. Zukunftsorientierte Akteure werden diese Chance nutzen, um eine möglichst hohe Lebensqualität in ihren Kommunen zu sichern.
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Ich kann mich erinnern, in den 80er Jahren an der Universität am Beispiel der Obdachlosen, die mangelnde Repräsentativität von Haushaltsstichproben erklärt zu haben. Dabei habe ich das Phänomen der Wohnungslosigkeit als marginal hinzunehmendes nicht weiter beachtet. Dass jetzt in Berlin Wohnungslose gezählt werden sollen, öffnet mir die Augen über die Prävalenz dieser „Randgruppe“, die man nicht mehr übersehen kann und sollte. Obwohl diese Menschen in den Straßen und Unterkünften durchaus sichtbar sind, werden sie höchstens einen Moment als lästige Bettler wahrgenommen. Auch für sie gelten aber die allgemeinen Menschenrechte und der Artikel 1 des Grundgesetzes.
wohl wahr und wir sollten wirklich nicht vergessen, dass hinter den statistischen Daten dramatische Schicksale stehen
hier noch ein interessanter aktueller Beitrag: https://www.xing.com/news/klartext/obdachlosigkeit-sollte-kein-teil-unserer-gesellschaft-sein-3563?ete=294a5ef132f67dd2.eyJ0YXJnZXRfaWQiOjM1NjMsInRhcmdldF90eXBlIjoia2xhcnRpY2xlIiwidGFyZ2V0X3VybiI6InVybjp4LXhpbmc6Y29udGVudDprbGFydGV4dF9rbGFydGljbGU6MzU2MyIsInBhcmVudF9jb250YWluZXJfaWQiOiJbXCI1NDM4OF8zMjg0OTk2XCIsXCJrbGFydGV4dFwiLFszNTYzXSxudWxsLFwia2xhcnRleHRcIixudWxsXSIsInBvc2l0aW9uIjowLCJzaXRlX3NlY3Rpb24iOiJlbWFpbCIsImRlbGl2ZXJ5X2lkIjoiNTQzODhfMzI4NDk5NiIsImFjdG9yIjoia2xhcnRleHQiLCJhY3Rvcl91cm4iOiJ1cm46eC14aW5nOmNvbnRlbnQ6a2xhcnRleHQiLCJ2ZXJzaW9uIjoiMi4yLjEifQ&cce=em5e0cbb4d.%3A077FOP9yoWZFHXSFF4ZAAC