Kennt Jemand Ahlen in Westfalen? Vor einigen Jahren gab es dort einen erfolgreichen Zweitligaverein. Ahlen/Westfalen wird oft verwechselt mit Aalen/Württemberg. Auch dort gab es einst einen Zweitligaverein. Mehr dürfte den Meisten nicht zu Ahlen einfallen. Ahlen ist Durchschnitt, bundesdeutsche Provinz.
In Ahlen fand gestern eine Bürgermeisterwahl statt. Oh mein Gott, werden viele denken, Lokalpolitik in Ahlen. Da kommen zwei Dinge zusammen. Minimale Wahlbeteiligung, steife Rhetorik, anonyme Parteikader, die üblichen Plakate aller Orten, platte Wahlversprechen ohne Ende.
Mit diesen Erwartungen folgte ich einer Einladung zur Ahlener Elefantenrunde in die Stadthalle, um die Kandidaten mit haushaltspolitischen Realitäten zu konfrontieren. (Der Abriss der Stadthalle war übrigens ein Wahlkampfthema.) Doch ich wurde überrascht.
Ahlen ist anders.
Die Stadthalle war überfüllt. Rund 450 Bürgerinnen und Bürger nahmen die Gelegenheit wahr, die 2,5 Kandidaten in Aktion zu sehen. Und aktiv waren sie, denn die Organisatoren hatten sich Einiges überlegt: Filme, Bürgerbefragungen, spontane Überraschungsgäste, Kreuzverhöre und Komödianten. Drei Stunden vergingen. (Nicht wie im Flug, aber sie vergingen.) Niemand verließ vorzeitig den Saal.
Die Lage ist schlecht. Die Aussichten sind schlechter.
Ahlen war stets eine finanziell unauffällige Stadt. Sicher, das ist nicht schwer in NRW. Seit 2008 ist sie durchgängig im Minus. Die Kassenkredite stiegen binnen drei Jahren von Null auf 28 Millionen. Die Sozialausgaben waren immer schon sehr hoch. Die Gewerbesteuer bröckelt. Die Gemeindeprüfungsanstalt fand Einiges an Einsparpotenzialen.
Ehrlichkeit kommt an.
In vielen Städten wären die Vorschläge zerrissen worden, besonders im Wahlkampf. Nicht in Ahlen. Die Kandidaten überboten sich im Bekenntnis, den Haushalt sanieren zu müssen. Personalabbau und die Kürzung freiwilliger Leistungen wurden offen angekündigt. Die Grundsteuer stieg ja gerade erst um ein Drittel. Der Saal reagierte mit Ruhe. Keine Buh-Rufe. Keine protestierenden Vereine. Kein Personalrat. Keine verwirrte Opposition. Die Bürger akzeptieren die Realitäten, weil die Kandidaten glaubwürdig sind.
Wir haben vor ein paar Jahren eine repräsentative Bürgerbefragung in NRW durchgeführt: Was denken die Bürger über das Sparen? Unsere Erkenntnis: Die Bürger interessieren sich durchaus für Lokalpolitik. Sie sind bereit, Haushaltsgrenzen zu akzeptieren. Die Voraussetzung dafür ist ehrliche Politik. Die Politik in Ahlen hat dies im Wahlkampf verstanden und vorbildlich umgesetzt.
Trübsal am Wahlabend.
So positiv der Abend der Elefantenrunde verlief, so schnell verflog die Aufbruchstimmung am Wahlabend: Wahlbeteiligung 46%. Nicht einmal jeder zweite Bürger nutzte sein demokratisches Recht. An weiten Wegen zur Wahlkabine kann es nicht gelegen haben. Stolze 22 Wahllokale bot die Stadt den gut 40.000 Wahlberechtigten. Sechs überschritten am Ende die 50%-Grenze, fünf lagen noch unter 40%. Ein genauer Blick auf die Wahlbezirke offenbart einmal mehr eine gesellschaftlich gefährliche Entwicklung: Die schwächeren sozialen Schichten, umso mehr jene mit Migrationshintergrund, fühlen sich von Wahlen nicht betroffen. Sie machen einfach nicht mit. Es gelingt nicht, diese Milieus zu interessieren. Im Ahlener Südosten, ehemalige Bergarbeitersiedlung, lag die Wahlbeteiligung unter einem Drittel. Im bäuerlichen Vorhelm wurden fast 60% erreicht.
Zweite Chance in zwei Wochen.
Umso bedauerlicher, dass eine Stichwahl nötig wird. Dem neuen Bürgermeister (bzw. der Bürgermeisterin) sei alles Glück beschieden, seine (ihre) Pläne umzusetzen. In fünf Jahren sehen wir uns wieder in der Stadthalle, so sie denn dann noch steht.
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