Das Insolvenzverfahren der Stadt Detroit hatte für die Stadt einen Katalysatoreffekt. Einiges wurde offen gelegt: Gutes wie Schlechtes. Über das Schlechte haben wir schon gesprochen, der Stand der Verbindlichkeiten, die Qualität der Verwaltung, Rassismus. Aber es gab auch positive Überraschungen. Über die schönste, die bewegendste, möglicherweise den turnaround der Stadtgesellschaft, werde ich nun berichten.
Kunst verbindet
Es gehört zum Selbstverständnis einer amerikanischen Großstadt, eine Kunstsammlung zu führen. Zum Selbstverständnis des Bürgertums gehört es, jene mit Dotationen zu bereichern; so auch in Detroit. Die Stadt, dazumal noch reich und wachsend, baute dieser Sammlung in den 1920er Jahren ein repräsentatives Heim. Das heutige Detroit Institute of Art (DIA) war geboren. Die Sammlung blühte und gedieh. Von der Stadt selbst konnte man dies in der zweiten Jahrhunderthälfte nicht mehr sagen. So ragt das DIA heute wie ein Fremdkörper, ein Symbol früheren Wohlstandes, aus einer tristen Landschaft heraus. Sie beherbergt Werke von Bruegel, Matisse, Picasso, van Gogh, Gauguin oder Cézanne. Es ist das letzte Aushängeschild Detroits; vor allem, wenn man sich nicht für Baseball interessiert. Und wer tut das schon.
Kunst „schätzen“
Im Juli 2013 begann das Insolvenzverfahren der Stadt. Schnell wurde offenbar, dass die Insolvenzmasse viel kleiner als erwartet war. Nicht nur der Insolvenzverwalter sondern auch die Gläubiger, Banken und Pensionäre, warfen angesichts drohender enormer Verluste einen Blick auf die Kunstsammlung. 500 Millionen Dollar erhoffte man sich. Es begab sich also zu der Zeit, dass ein Gebot vom Notfallmanager ausging, dass alle Kunst geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste. Chriestie´s machte sich sogleich ans Werk. Über die Plausibilität der Schätzungen kann man streiten, ebenso über die Realisierbarkeit massenhafter Verkäufe. Unzweifelhaft hätte man für einzelne Werke hunderte Millionen Dollar einnehmen können.
Die Finanzierung des DIA stand schon viele Jahre auf wackeligen Füßen. Die Stadt reduzierte die Zuweisungen, notwendige Spenden flossen spärlich. Die Haushaltskrise der Stadt Detroit spiegelte sich natürlich in der Kunstsammlung wider. Um die Sammlung zu stützen, beschlossen die Bürger der umliegenden Landkreise schon vor der Insolvenzerklärung Detroits eine freiwillige Sondersteuer. Nichtsdestotrotz, der Verkauf einzelner Werke ist auch in früheren Jahren durchaus schon praktiziert worden.
Kunst schützen
Dem Gedanken einer breiten Liquidation standen zuerst einmal einige juristische Aspekte entgegen. So klagte das DIA, mehr oder weniger eine Tochter der Stadt, gegen die Insolvenzerklärung selbst. Die Klage wurde abgewiesen. Danach stellte sich die Frage, wem die Kunstwerke überhaupt gehören. Viele sind Schenkungen unter der Bedingung öffentlicher Zurschaustellung. Auch die Spenden selbst waren zweckgebunden für öffentliche Zwecke. Die umliegenden Landkreise, die einen Teil der Finanzierung tragen, erhoben ebenso Einsprüche.
Kunst und Sammeln
Auf die Juristerei wollten sich die Kunstinteressierten der Stadt natürlich nicht verlassen. Zumal der öffentliche Disput sich auf die Alternative Kunst versus Pensionen zuspitze. Ein Argument, das durchaus Gehör fand und das man weniger leicht vom Tisch fegen kann, als die Forderungen der „bösen“ Kapitalmärkte. Es bedurfte einer Lösung, tiefe Einschnitte in die Altersversorgung der städtischen Bediensteten zu verhindern, ohne Kunstwerke zu verkaufen. Man brauchte alternative Gelder. Und man fand sie.
Das DIA versprach, 100 Millionen Dollar zu sammeln. Die Gelder wurden in einem Fonds geparkt und sollen für die nächsten zwanzig Jahre die Pensionen der Beschäftigten stützen. Neben vielen Privaten beteiligten sich die drei Autokonzerne und viele Stiftungen. Sicherheitshalber wurde das DIA selbst in eine Stiftung überführt, um es dauerhaft als öffentliches Gut zu erhalten und aus der Insolvenzmasse der Stadt auszugliedern.
Kunst bewegt
Die Debatte um den Verkauf des DIA war der eigentliche Stimulus im Insolvenzverfahren der Stadt. Sie mobilisierte die Öffentlichkeit weltweit, ungeahnte Gelder und die Kompromissbereitschaft der Gläubiger. Ohne diese umstrittene Idee wäre die historische Verhandlungslösung nicht vorstellbar gewesen, die letztlich zu einem erträglichen Ausgang der Insolvenz führte.
In Teil 10 des Blogs werfen wir einen Blick auf die Ergebnisse der Insolvenz. Erfahren Sie mehr über die Konjunktur einer Wortschöpfung.
Der Verkauf von Kunstwerken für die Sanierung der Stadtkasse. Ein sinnvolles Unterfangen?
Fotos: René Geißler (Ausnahmen sind ausgewiesen)
Der Verkauf von Kunstwerken zur Haushaltssanierung ist auch in Deutschland gar nicht so unbekannt. NRW hatte ihn schon.
http://www.tagesschau.de/ausland/warhol-103.html