Ein sozialer Brennpunkt rückte kurz ins Blickfeld: Duisburg Marxloh. Die Augen der Nation folgten der Bundeskanzlerin, die diesen Stadtteil einer nordrhein-westfälischen Großstadt besucht hat. Das wirkt wie ein Scheinwerferlicht. Ein Verfall hin zu einem Problembezirk kommt aber nicht über Nacht, es ist ein langer Prozess. Egal ob in Marxloh oder andernorts. Können Daten helfen, frühzeitig gegenzusteuern? Und wer hat Zugang zu diesen Daten?
In vielen Kommunen in Deutschland gibt es soziale Brennpunkte. Eigentlich kenne ich keine einzige Kommune, in der es solche Quartiere nicht gibt. In der Regel kennt die Bevölkerung diese Stadtteile – und meidet sie. Die Menschen, die dort leben, werden schnell strukturell ausgegrenzt. Sei es in der Schule, sei es bei der Arbeitssuche. Schon im Bewerbungsschreiben kann eine Anschrift in einem Problemviertel dazu führen, dass der Bewerber gleich aussortiert wird. Auch politisch fallen diese Stadtteile immer wieder auf, wenn etwa die Wahlbeteiligung auf ein Rekordminus zurückrutscht und die Ergebnisse sozial nicht mehr repräsentativ sind. Ausgrenzung erzeugt offenbar auch Rückzug aus der institutionellen Teilhabe.
Daten sind vorhanden
Wenn solche Brennpunkte in der Bevölkerung bekannt sind, sind sie es in der Regel in den Entscheidungsgremien von Rat und Verwaltung auch. Und nicht nur das. Hier kann man sogar mit Zahlen, Fakten und Daten belegen, dass das so ist. Ein Brennpunkt existiert nicht nur gefühlt, sondern ist in seinem Dasein faktisch zu untermauern. Es fehlt also nicht an Daten. Auch in Duisburg-Marxloh nicht, ein Stadtteil, der diese Schatten der Ausgrenzung schon lange auf seinem Buckel mit sich herum trägt. Über Marxloh ist schon viel verschriftlicht worden. Nach einem kurzen Blick in das Ratsinformationssystem der Stadt Duisburg findet sich ein ganz aktueller und umfassender Gesamtblick dazu. Das Papier heißt „Integriertes Handlungskonzept, Duisburg-Marxloh„ herausgegeben durch das Amt für Stadtentwicklung und Projektmanagement, erstellt durch die Entwicklungsgesellschaft Duisburg mbh, datiert vom März 2015. Der Bericht soll jährlich fortgeschrieben werden, um flexibel zu bleiben. Seit der Möglichkeit der staatlichen Förderungen (bereits Mitte der 1990er Jahre), gab es aber bereits schon viele Statusberichte, Zwischenberichte. Übrigens auch zu einem weiteren Brennpunkt „Duisburg-Hochfeld„ liegt ein sehr detaillierten Bericht aus gleicher Quelle vor. Beide Berichte umfassen eine Sozialraumanalyse, Altersstruktur, Stärken-Schwächen-Analyse, Handlungsempfehlungen, Maßnahmensteckbriefe, Finanzierungsideen – 76 bzw. 46 Seiten geballte Informationen, die eigentlich eine gute Grundlage zur Steuerung wären.
Zugang auch für Zivilgesellschaft
Trotz fundierter Datenlage in Berichtsform gelingt es vielen Verantwortlichen in den Kommunen aber offenbar nicht, den Brennpunktcharakter bestimmter Ortsteile abzuschütteln. Dabei ist nicht nur die Politik aufgerufen zu steuern. Gerade die Zivilgesellschaft selbst leistet einen großen Beitrag, damit die Herausforderungen direkt vor Ort gemeistert werden können. Ihre Kenntnisse, ihre Kreativität und ihre Möglichkeiten könnten noch wirkungsvoller unterstützt werden, wenn auch sie einen direkten Zugang zur neuen Kategorie der „offenen Daten“ erhalten würden. Denn ein Punkt ist zentral in der Debatte um soziale Brennpunkte, egal ob der nun Marxloh heißt oder anders: die Herausforderungen in diesen Ortsteilen wachsen ständig exponentiell. Ein Charakteristikum von sozialen Brennpunkten ist eben der Wandel, die hohe Dynamik, bedingt auch dadurch, dass diese Ortsteile mit Vielfalt umgehen müssen. Sie sind in der Regel auch erste Anlaufstellen für Zuwanderung, sie verändern sich ständig. Diese hohe Dynamik braucht ihre Berücksichtigung im Datenmaterial und die Möglichkeit, Daten anders zusammenzusetzen, andere Muster erkennbar werden zu lassen und einen direkten Nutzen im Quartier zu ermöglichen.
Offene Daten – ein Kulturwandel
Mit „Offene Daten„ kann so etwas gelingen. Wenn die Zivilgesellschaft, auch Wirtschaft und Interessierte daraus vielleicht auch neue Handlungsmuster erkennen, die dem Politikbetrieb bisher nicht aufgefallen sind, weil die Perspektive hier eine andere ist. Mit Hilfe von offenen Daten können die Menschen vor Ort mögliche Chancen für sich nutzen, aus ihrer Kenntnis und ihrer Vertrautheit mit der Situation heraus, direkt und wirkungsvoll helfen zu können. Innovationen zu entwickeln, die direkt vor Ort wirken können, passgenau zu den Herausforderungen.
Gute Beispiele, was man aus „offenen Daten“ alles machen kann, zeigen die Projekte von „Code for Germany„ – nicht nur in Brennpunkten sondern generell. Hier finden sich Beispiele für Apps, die direkt in den Alltag der Menschen eingebunden sind und die direkt aus kommunalen Daten entstanden sind. Denn jede Kommune ist anders, jeder Stadtteil ist individuell und hat seine eigenen Bedarfe – wenn auch viele Grundprobleme ähnlich sind. Wer wüsste das nicht besser als soziale Brennpunkte, die jeweils ein hohes Maß an Eigenengagement entwickeln können.
Auch das Projekt „Frankfurt gestalten„ – welches auf dem Partizipationsprinzip „Bürger machen Stadt“ basiert, ist so ein Projekt von „unten“. Ein weiteres Handwerkszeug dazu ist auch „Placeilive„, welches tiefere Einblicke in einen Stadtteil ermöglicht. Noch sind hier die Big-Cities im Blick wie New York, London oder Berlin. Aber die Idee ist übertragbar. Hier finden sich direkte Informationen der Nutzer zu den Punkten: Transport, Gesundheit, Demographie, Alltag, Sport und Freizeit, Sicherheit und Unterhaltung. So bekommt man tiefere Einblicke in sein Quartier und kann das Lebensgefühl darstellen. Direkter kann man Daten nicht erheben. Verschneidet man die miteinander, können Apps entstehen, die den Bewohnern einen direkten Nutzen bringen.
Granulare Daten
Aus diesen neuen Möglichkeiten heraus erfolgt die Erkenntnis: je granularer und verfügbarer die Datenlage in den Quartieren ist, desto passgenauer kann reagiert und gestaltet werden, um die Lebensqualität in einem Quartier zu verbessern. Nicht nur seitens der Entscheider in Politik und Verwaltung, sondern auch durch die Menschen, die dort leben. Das führt aber auch zu dem Ansatz „Ungleiches nicht gleich zu behandeln“. In der künftigen Gestaltung von kommunaler Politik stehen wir eigentlich genau an der Stelle: mehr Experimentiermöglichkeiten, um mittels Datenlage konkreter auf neue Herausforderungen auf neue Entwicklungen in den jeweiligen Stadtquartieren antworten zu können.
Wenn das bei einem hohen Besuch am Ende klar wird: „offene Daten“ in den Kommunen sind notwendig und gut, weil man damit kleinteilig Quartiere gestalten kann, es braucht dazu eigene Handlungsansätze“ – dann hat es sich ein wenig gelohnt, wenn das bundespolitische Streiflicht einen Augenblick mal wieder über einem sozialen Brennpunkt aufgeleuchtet ist.
Die Anzahl der technischen Hilfsmittel und Werkzeuge dazu steigt jedenfalls. Daten sind der Rohstoff der Zukunft, nicht nur für die Wirtschaft und Politik, sondern auch für die Zivilgesellschaft. Es braucht jetzt den politischen Willen, diese Idee der Öffnung auch in der Breite umzusetzen.
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