Was macht eine Stadt zu einer smarten Stadt? Diese Frage bewegte die Metropolitan Solutions 2016 im City Cube in Berlin. Repräsentanten aus rund 400 Kommunen weltweit suchten Antworten. Wir aber haben den Blick ein klein wenig verschoben – in unserer Podiumsdiskussion stand SmartCountry im Fokus: Warum sollten nur Städte smart werden? Müsste nicht längst eine große Strahlkraft von den vernetzten und intelligenten urbanen Räumen hinaus ins Land geben? Wir suchen nach digitalen Strategien, die Teilhabe für alle ermöglichen. Überall im Land.
Gäste bilden weites Spektrum ab
Auf unserem Podium SmartCountry diskutierten: Kristina Omri, Wirtschafts- und Handelsdiplomatin der Botschaft von Estland in Berlin; Prof. Dr. Helge Ritter, Koordinator CITEC der Uni Bielefeld; Dr. Stephan Albers, Geschäftsführer der BREKO, Bundesverband der Breitbandkommunikation sowie Carsten Große Starmann, Demographieexperte Wegweiser Kommune. Die Moderation lag bei mir. Leider gab es keinen Live-Stream. Hier daher ein paar meiner Notizen, die aber lange nicht vollständig sind, ein kleiner Appetithappen auf das Thema sozusagen:
Gleich vorweg: Smart-werden in der Fläche in Deutschland ist nicht ganz so einfach. Und das eingeschlagene Tempo ist eindeutig zu langsam. SmartCountry insgesamt wäre ein Rundumschlag an Themen: Es gibt eigentlich keinen Bereich im Lebensalltag der Menschen, der nicht smart werden könnte. Diesmal lagen die Schwerpunkte unserer Diskussion auf den Aspekten Pflege, Wohnen im Alter, digitale Infrastruktur sowie Demographie.
Carsten Große Starmann skizzierte zu Beginn Eckpunkte aus unserer Studie der Bevölkerungsvorausberechnung 2015. Demnach wird unsere Gesellschaft älter – ein seit Jahren bekannter aber immer noch unterschätzter Fakt, allerdings mit der Feinheit, dass die Alterung regional unterschiedlich ausfällt. Auch die Zahl der Hochbetagten nimmt signifikant zu. Zudem wandern immer mehr Menschen in die Städte, die mehr und mehr zu Megacities werden. Die Regionen aber dünnen aus. Um das Verbleiben in den Regionen und ländlichen Räumen zu ermöglichen, braucht es neue Impulse für alle Lebensbereiche. Und selbstverständlich eine tragfähige digitale Infrastruktur.
In der Diskussion war nicht die Rede von einem Anschluss nach dem Motto „one fits all“ mit 50 Mbits, oder gar nur 2 bis 6 Mbits als flächendeckendes Ziel. Große Starmann unterstrich: „Wir brauchen Glasfaser als Transporteur und Ermöglichung künftiger Nutzung und Produkte.“ Er betonte, dass wir in Deutschland auf einen falschen Weg abgebogen sind, die Deutsche Telekom verbaut mit Kupferkabeln eine alte Technik, die keine Zukunft hat, weil das Material endlich ist. Er setzt langfristig auf mehr kreative kommunale und regionale Ausbauprojekte, wie sie etwa gerade in Senden (Münsterland) umgesetzt wurden.
Der Demographieexperte sieht die gesellschaftliche Diskussion zudem weit abgeschlagen hinter der technischen Diskussion, die schon viel weitsichtiger sei. Ein Umstand, der längst Probleme aufwirft, denkt man an Arbeit 4.0, an Industrie 4.0 und Fragen der Künstlichen Intelligenz. Die politische Gestaltung hält kaum Schritt. Gefragt zur Debatte um „Bremser oder Hype der Digitalisierung“, betrachtet er den Prozess der digitalen Transformation als einen gesamtgesellschaftlichen Changeprozess, wie wir ihn in der Geschichte schon lange nicht mehr bewältigen mussten. Sein Erfolgsfaktor dabei: Kommunikation. Nur durch das Mitnehmen der Menschen ließe sich dieser Wandel gestalten. Wichtige Rollen spielen dabei u.a. auch die Bürgermeister in den Kommunen, die digitale Treiber werden könnten.
Prof. Helge Ritter gab Einblicke in die Arbeit des CITEC. Was können Roboter beitragen, damit Menschen möglichst lange autonom in den eigenen vier Wänden verbleiben können? Flobi, Meka und Billi machen es in unterschiedlichen Projekten deutlich. Als Avatare oder als Roboter stehen sie mit konkreter Hilfestellung im häuslichen Bereich bereit: Sei es das Helfen beim Kochen oder die Kommunikation im Flur beim Verlassen der Wohnung, wenn der Avatar bemerkt: „Du hast keinen Hausschlüssel dabei.“ Die Präsenzwirkung von Robotern wirke sich auf das tägliche Leben aus. Die entwickelten Roboter sollen nicht menschenähnlich sein, aber schon der Form angeglichen. Sie sollen den Menschen in der Interaktion mitnehmen sowie auch mit der Mimik Gefühle ansprechen. Ein Ziel ist es, die Technik zu den Menschen zu bringen, die Bedienbarkeit und Nutzung zu vereinfachen, im Leben zu implementieren. Dabei sind digitale Kompetenzen zu vermitteln, auf lange Sicht müsste man diese Kompetenzen unbewusst anwenden. – Dieser Aspekt erinnerte mich an Sim Sikkut aus Estland, der sich zum Ziel gesetzt hat, staatliche Dienste durch den Einsatz von E-Government so gut wie unsichtbar zu machen – in der Normalität zu verankern.
Den Ball der Datensicherheit nahm der Bielefelder Forscher ebenfalls auf und verwies auf die Notwendigkeit von Verschlüsselungstechnologien, eine Herausforderung, bestehende Systeme noch sicherer zu machen. Aber Sicherheit hat hier auch noch einen zweiten Aspekt: Technik müsse auch Sicherheit vermitteln, insbesondere dann, wenn es um Menschen mit Erkrankungen wie Demenz geht. Beispiele für Gefährdungen gibt es ausreichend, etwa wenn der Herd zu heiß wird oder man das Haus ohne Regenkleidung verlässt, wenn es draußen regnet, der Avatar am Herd oder an der Haustür aber eben darauf hinweist und kognitive Nichtleistungen ersetzen könnte. Oder wenn jemand das Haus verlässt und die Haustür intelligent genug ist zu wissen, „darf der jetzt einfach raus – oder wer darf eigentlich rein?“ Alles Fragen der Sicherheit, die in Bielefeld auch diskutiert werden. Und auch Prof. Ritter sieht Notwendigkeiten im Ausbau von Breitband in Deutschland: Ein smartes Home mit allen digitalen Möglichkeiten ist am Ende nur dann zu realisieren, wenn dieses ausreichend schnell am Netz sein kann. Der Aspekt der Datensparsamkeit schwingt dabei mit.
Ritter nahm die Zuhörer im Raum M1 mit auf die Reise in die Wohnung der Zukunft. Künftig könne man davon ausgehen, dass ganze Wände als Screen funktionieren. Hier könne man alles aufspielen. Die Treiber werden auch hier wieder die jungen Menschen sein, die das nutzen – und wollen. Künftig könnten Bilder und Szenen ganze Wände bespielen. Denkbar wäre sogar die Generationenvereinigung einer Familie via Screen, wo sich Familien virtuell begegnen können, wenn auch tausende von Kilometern dazwischen liegen. „Nur das Essen kann man eben nicht von einem Raum in den anderen rüberreichen – Kinder könnten ihre Großeltern aber zumindest erleben und mit ihnen kommunizieren, als wären sie nebenan.“ Digitale Technik könne Wohnen auf kleinem Raum vergrößern und die Möglichkeiten von Nutzungen erweitern. Ein nicht unerheblicher Aspekt.
Kristina Omri erklärte Estland als „digital ist dort normal“: Digitaler Service gehöre in Estland zum Lebensalltag der Menschen dazu. Mit der elektronischen ID-Karte etwa werde der Zugang zu allen wichtigen Informationen und auch zu staatlichen Dienstleistungen erleichtert. Auch die Gesundheit und das Management von Gesundwerden und -bleiben sind digital organisiert. Ein Rezept digital zu bekommen ist – normal. Estland ist ein quasi papierloses Land. Wie man die Bevölkerung auf diesem Weg mitgenommen hat, will ich wissen. Die Antwort ist simpel: Viele junge digitale Köpfe und Treiber waren Anfang der 90er Jahre in Regierungsverantwortung und haben die Chance 1991 genutzt und das Land nach der Unabhängigkeit von Russland digital neu aufgebaut. Die Bevölkerung vertraue der Datensicherheit. Zahlreiche Kontrollsysteme und Reportings verschaffen jedem Einzelnen größtmögliche Transparenz. „Wenn Datenlücken entstanden sind, machen wir das transparent. Wir reden darüber und verbessern uns im Dialog mit der Bevölkerung“, sagt Kristina Omri.
Digitale Kompetenzen werden in Estland groß geschrieben. Schon in der Schule findet der Umgang mit digitalen Geräten seinen Platz, aber auch die ältere Bevölkerung wird mitgenommen. Zahlreiche Projekte, öffentliche und private, haben sich dieses Training zum Ziel gesetzt. Die Anwendungen sind dabei allumfassend, von Gesundheit bis zur bargeldlosen Transaktion. Digital ist normal, wie gesagt, in jedem ihrer Beispiele wird das deutlich.
Die digitale Infrastruktur ist auch in Estland ein Thema. Estland ist ein Land mit viel „Fläche“ und einigen wenigen großen Städten. Dafür mit vielen kleinen Inseln – und wenigen Menschen. Wir sprechen hier von 1,2 Millionen Einwohnern. „Der Hunger wird größer mit dem Essen“, scherzt Kristina Omri. Und meint damit: Je mehr digitale Möglichkeiten vorhanden sind, desto größer wird der Bedarf nach einem flächendeckenden schnellen Netz. Ein weiterer Vorteil sei zudem der flächendeckende Zugang zu WLAN, ein unverkennbarer Standortvorteil für alle Menschen im Land. Die Diskussion über die Störerhaftung wäre in Estland wohl gar nicht erst aufgekommen…
Dr. Stephan Albers plädierte für die tragfähige Versorgung mit Glasfaser für ganz Deutschland. „Ich muss nicht mehr darüber diskutieren, ob das Sinn macht“, stellte er gleich klar. Gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland gehe nur noch über Glasfaser. Glasfasernetze seien der Standortfaktor Nummer 1 in Deutschland. Aber: Nur 3 Prozent Glasfaserversorgung allerdings existiert bisher. Sein Ziel ist klar formuliert, nämlich die Stärkung regionaler Ausbauprojekte, die quasi Remonopolisierung der Telekom gerät zum Hemmschuh. Bezüglich des Ausbau brachte er weitere interessante Aspekte in die Diskussion. Den Ausbau treiben demnach sowohl die Jüngeren als auch die Älteren voran, weil sie hier den größten Mehrwert für sich finden. Die Entscheider aber, die Mittelalten, zeigten sich spürbar zögerlich bis unbeweglich. Ferner: Bezogen auf die 90 Mrd. Euro, die für einen flächendeckenden Ausbau mit Glasfaser gebraucht würden, müsse man zumindest auch der Summe der Wertschöpfung gegenüberstellen, die verloren ginge, wenn man nicht ausbaut und Deutschland dadurch sehr bald einen Standortnachteil erleide. Auch er sah gerade die Bürgermeister in einer besonderen Verantwortung für den Ausbau. Sie könnten digitale Treiber sein. Zudem befürwortet er einen besseren Kommunikationsprozess von unten nach oben, nur so könne der Anschluss gelingen. Für ihn gilt „Ausbau nicht ohne meinen Bürgermeister!“ Wer direkt betroffen sei, reagiere schneller und weitsichtiger. Empfohlen hatte er zudem einen Blick nach Schweden als gutes Beispiel für den Ausbau mit Glasfaser.
Publikum beteiligt
Zwischendurch habe ich immer wieder Fragen an das Publikum gerichtet: Wie digital sind Sie, finden Sie sich digital? war eine davon. Gelächter. Und viele Hände in der Luft. In der Zivilgesellschaft scheint das Thema angekommen zu sein. Wichtigstes Utensil ist offenbar nach wie vor das Smartphone – als ein Ding, mit dem der Alltag organisiert wird. „Was ich am wenigsten damit mache, ist telefonieren!“ so ein Teilnehmer.
Eine zweite Frage ins Publikum war schon kniffliger: Wer findet die elektronische Organisation von Gesundheit richtig und hätte keine Probleme dem Beispiel von Estland zu folgen, nämlich alle Gesundheitsdaten digital zu speichern? Nur zwei Zuhörer hoben die Hand. Hier scheint ein Informations- und Kommunikationsbedarf nicht eingelöst worden zu sein, betrachtet man den Flop der elektronischen Gesundheitskarte.
Eine interessante Frage kam aus dem Publikum von Willi Kaczorowski, der zur Debatte stellte, ob für die digitale Infrastruktur nicht auch gänzlich andere Formen der Finanzierung notwendig sein werden. Er machte dies deutlich an der Ausstattung von Altenheimen mit Internet, um die Teilhabe der älteren Bevölkerung zu ermöglichen – oder auch Telemedizin in den Krankenhäusern zu nutzen. „Ist es denkbar, dass sich künftig auch Krankenkassen am Ausbau beteiligen – schließlich profitieren sie ganz besonders von diesen digitalen Möglichkeiten?“ fragte er mit dem Aspekt FTTA = Fibre to the Altenheim. Eine schöne Frage, deren Beantwortung spannend sein dürfte.
Am Ende standen noch einige Aussagen im Raum wie etwa „Wir müssen alle Informatiker werden“ (Kristina Omri), „Entwicklung wird weniger eine Frage der Technik sein, sie sind stärker auch an soziale Skills gekoppelt, so dass künftig mehr Frauen in die Entwicklung mit einsteigen werden, der Beruf Informatiker öffnet sich stärker“ (Prof. Ritter). Carsten Große Starmann sieht künftig mehr Möglichkeiten der Überbrückung von Distanzen und das Arbeiten und Leben an einem Ort ohne zu pendeln. Arbeit ist da, wo die IT ist.
Wo wird Digitalisierung konkret?
Einig waren sich alle im Saal: Im öffentlichen Diskurs bleibt Digitalisierung zu abstrakt, nicht fassbar. Es fehlen die Produkte, die man real „erleben“ und „erwerben“ kann. Wo könnte man all diese Möglichkeiten testen, erkunden, ausprobieren? Wo sind schon digitale Produkte, die bald einen bezahlbaren Wert verlangen? Es ging dabei nicht allein um das „Kaufen“, sondern auch um die grundsätzliche Implementierung von Zukunft in unseren Alltag. Wo stehen die 3-D-Drucker zum Selberbauen, wo sind die Produkte in der Breite erhältlich? In den Blick genommen wurde am Ende auch noch einmal die sehr deutsche Debatte um Datensicherheit und die Ängste der Bevölkerung vor „Digitalisierung“ an sich. „Vertrauen kommt mit dem Gefühl der Kontrolle, die jeder Mensch in einem Land haben muss – über sich und seine eigenen Daten“, sagte Kristina Omri schließlich aus ihrer Erfahrung in Estland heraus.
Am Ende entstand eine Geschichte: Über unserem Panel hing ein zufällig vom Veranstalter der Messe ausgesuchtes Bild. In der Mitte steht eine Holzhütte auf einer grünen Wiese, drumherum viel Land und kleine Wäldchen. Irgendwo in der weiten Fläche in Deutschland. Scherzhaft haben wir uns zu Beginn der Diskussion gefragt, ob man von „smartem Home“ sprechen könnte. Also intelligent und vernetzt. Am Ende war klar: die Hütte IST smart. Mit ein wenig Phantasie sieht man: Drinnen wohnt ein Roboter, der hilft. Auf jeden Fall ist jemand aus Estland zu Besuch. Die Sicherheit ist gewährleistet. Natürlich ist die Hütte mit Glasfaser versorgt. Nebenan wohnt ein digitaler Treiber – nämlich der Bürgermeister. Von dort aus kann man arbeiten und jede Art von Bildung vernetzen. Wenn die Familie zu Besuch ist, sind die Großeltern auf den Screen gebeamt, das Essen aber kann man nach wie vor nicht durchreichen. Über die Gefahren von außen ist man sich klar, hat aber Möglichkeiten der Gefahrenabwehr etwa bei Datenklau. Wie gesagt, der Weg zum SmartCountry ist noch lang. Aber Phantasie ist schon mal freigesetzt. Und Wege sind absehbar, wenn man weiß, wo man hinwill. Zwei Ziel sind: Daseinsvorsorge in der Fläche und Teilhabe für alle.
Zum Weiter-Klicken
Hier noch drei Links, die die Zuhörer im Raum erbeten haben, weil sie im Verlauf der Diskussion benannt wurden:
CITEC Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie, Uni Bielefeld
Eine Kommune macht sich stark für Glasfaser – Rietberg auf Vimeo.
Mehr zum Thema „SmartCountry“ aus der laufenden Projektarbeit findet sich hier im Blog sowie auf der Website der Bertelsmann Stiftung.
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