Am 27. September fand unter dem Motto „Aktiv gegen Armut – Teilhabe für alle Kinder & Jugendlichen ermöglichen“ der Kinderarmutskongress 2017 der LVR-Koordinationsstelle Kinderarmut in Köln statt. Ein Thema, das dabei unter anderem zur Sprache kam, war die Frage, was „Armut“ eigentlich in einem reichen Land wie Deutschland heißt. „Das ist doch klar“, denken Sie vielleicht? Nun, ganz so klar ist es anscheinend nicht. Denn immer noch gibt es Menschen in unserer Gesellschaft, die die Meinung vertreten, dass es in Deutschland infolge sozialstaatlicher Sicherungssysteme „richtige“, „echte“ Armut eigentlich gar nicht gibt. Wie von den Referierenden, darunter Prof. Butterwegge, Armutsforscher an der Universität zu Köln, Lisi Maier, Bundesvorsitzende des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend, und Gerda Holz, Armutsforscherin am ISS Frankfurt, engagiert argumentiert wurde, ist dies jedoch ein Trugschluss. Sicher kann man Armut in Deutschland nicht mit Armut in den Ländern der sogenannten Dritten Welt vergleichen. Ein Großteil der Armutserfahrung in Deutschland drückt sich nicht in existentieller physischer Not aus. Es droht nicht gleich der Hungertod. Gleichwohl gibt es teils auch hierzulande „absolute“ Armut – man muss nur einmal an Obdachlose im Winter denken.
Überwiegend geht es jedoch um „relative“ Armut, wenn in Deutschland von Armut die Rede ist. Entsprechend der Definition des Europäischen Rats aus dem Jahre 1985 heißt das: „Verarmte Personen sind Einzelpersonen, Familien und Personengruppen, die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.“ Relative Armut bemisst sich also am Wohlstandsniveau der Gesamtgesellschaft. Ist Armut in Deutschland also im wahrsten Sinne des Wortes „relativ“, sprich „nicht so schlimm“? Mitnichten. Relative Armut bedeutet starke materielle Entbehrungen. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist vielfach eingeschränkt. Man kann nicht einfach ohne groß nachzudenken ausgehen, einen Kinofilm sehen, Freunde zum Essen einladen. Stattdessen muss jeder Cent umgedreht werden. Gerade Kindern nimmt Armut Zukunftschancen. Wie anhand von Analysen von Daten der Schuleingangsuntersuchung nachgewiesen werden konnte, gibt es eigenständige nachteilige Armutseffekte auf die Entwicklung und Bildung von Kindern. Doch damit nicht genug. Studien zeigen auch: Im Durchschnitt verkürzt Armut sogar die Lebenszeit. So haben Männer und Frauen mit einem Einkommen unterhalb der Armutsrisikogrenze, also unterhalb von 60% des gesellschaftlichen Mittelwertes, bei Geburt eine um 8 bis 11 Jahre geringere mittlere Lebenserwartung.
Was selbst diese Fakten jedoch noch nicht abbilden, sind die ständigen Sorgen und der Stress der Familien aufgrund ihrer knappen Mittel. Die Angst, ob man bis zum Monatsende noch über die Runden kommt, ob nicht noch weitere unerwartete Ausgaben gestemmt werden müssen. Die Scham, um finanzielle Unterstützung für die Klassenfahrt der Kinder bitten zu müssen. Oder das mangelnde Vertrauen der Kinder in ihre eigenen Fähigkeiten, da ihnen neben finanziellen Mitteln auch oftmals der Rückhalt und die Unterstützung von Dritten fehlen.
Besonders bewegt hat mich letztlich der Bericht einer jungen Frau, die in ihrer Kindheit selbst von Armut betroffen war, trotz aller Widerstände ihr Abitur geschafft hat und inzwischen sogar mithilfe eines Stipendiums studiert. Sie berichtete von den neuen Möglichkeiten, die dieses Stipendium ihr eröffnet hat, und davon, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben an ihrem Geburtstag nicht traurig war. Das hat mir noch einmal auf eine ganz andere, sehr eindrückliche Weise gezeigt, was Armut in Deutschland wirklich heißt. Und es hat mich darin bestätigt, dass wir weiter daran arbeiten sollten, den Teufelskreis von Armut zu durchbrechen – also bspw. mithilfe kommunaler Präventionsketten und weiterer Maßnahmen sozial benachteiligten Kindern möglichst frühzeitig genau die Unterstützung zukommen zu lassen, die sie für ein gesundes, erfolgreiches Aufwachsen benötigen.
Foto: Jean Pierre Hintze/flickr
Kommentar verfassen