Der Auf- und Ausbau kommunaler Präventionsketten, um allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft ein gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen – was Nordrhein-Westfalen mit dem Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen“ vorgelebt hat – ist nun auch in Niedersachsen Programm. Unter dem Titel „Präventionsketten in Niedersachsen: Gesund aufwachsen für alle Kinder!“ sollen in drei Wellen bis zu 38 Kommunen für jeweils drei Jahre finanziell sowie durch Beratung, Begleitung und Weiterbildung beim Auf- bzw. Ausbau von Präventionsketten gefördert werden. Seit Jahresbeginn haben bereits die ersten acht Kommunen ihre Arbeit aufgenommen (die Landkreise Göttingen, Oldenburg und Osnabrück, die kreisfreien Städte Delmenhorst und Wilhelmshaven sowie die Region Hannover mit den Städten Barsinghausen, Garbsen und Seelze). Am 17. Mai fand nun in Hannover im Rahmen einer Fachtagung die Auftaktveranstaltung zur zweiten Bewerbungsphase statt. Zwei Aspekte aus den diversen Vorträgen und Diskussionen haben mich dabei besonders beschäftigt.
Kinderarmut ist kein Randphänomen
Auch wenn sie längst bekannt sind: Die Zahlen sind doch immer wieder erschreckend. So galt 2015 in Niedersachsen mehr als jedes sechste Kind im Alter von null bis zehn Jahren als arm, indem es auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen war. Mit 17,3% war diese Quote mehr als doppelt so hoch wie diejenige der Gesamtbevölkerung (7%). Armut ist unter Kindern also besonders präsent.
Materielle Armut hat dabei nicht nur Auswirkungen auf die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen (insbesondere dann, wenn sie Armut über einen längeren Zeitraum hinweg erleben), sondern auch auf ihren Gesundheitszustand. Dies führt häufig zu einer Verfestigung von Armut über mehrere Generationen hinweg. Schlechtere materielle Startchancen ins Leben sowie Eltern, die angesichts vielfältiger Problemlagen oft erschöpft sind und nur noch über begrenzte Zeit- und Kraftressourcen für ihren Nachwuchs verfügen, führen bei diesen Kindern immer wieder zu Ernüchterung und lassen ihre Chancen auf sozialen Aufstieg schwinden. Insofern sind umfassende, vernetzte und gut koordinierte kommunale Unterstützungsangebote – insbesondere auch für benachteiligte Kinder und Jugendliche – absolut notwendig, um Chancengleichheit herzustellen und allen Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen. Das kann nicht oft genug betont werden. Und es ist gut, zu sehen, wie sich vielfältigste Akteure in unterschiedlichen Bundesländern zu diesem Thema engagieren.
Nicht nur aufs Geld, auch auf den Willen kommt es an
Werden jedoch kommunale Unterstützungsangebote und -strukturen thematisiert, so dreht sich die Diskussion schnell auch um das dafür zur Verfügung stehende Geld. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich, wie im Fall von Prävention, um „freiwillige“ Aufgaben bzw. Aufgaben ohne individuellen Rechtsanspruch der Betroffenen handelt. Finanzschwächere Kommunen, deren Haushalte meistens nicht nur durch geringe Steuereinnahmen, sondern gleichzeitig auch durch hohe (Sozial-)Ausgaben gebeutelt sind, stehen in dieser Hinsicht besonders unter Druck. Ihr Handlungsspielraum ist im Vergleich zu wohlhabenderen Kommunen deutlich eingeschränkt.
Dass dieser Spielraum jedoch nicht gleich null ist, sondern auch arme Kommunen trotz finanzieller Einschränkungen noch Handlungsoptionen haben, zeigte sich bei dem „Moderierten Gespräch mit Praktiker*innen“. Ein Vertreter des Fachbereiches Jugend der Stadt Wilhelmshaven berichtete, dass Wilhelmshaven trotz seiner finanziellen Probleme schon 2007, also noch vor der eigentlichen Bundesinitiative, mit Frühen Hilfen und Maßnahmen zur Armutsbekämpfung begonnen hat. Realisiert werden konnte dies durch die Überzeugung und konstante Beteiligung der Verwaltungsspitze sowie durch die fortlaufende und transparente Kommunikation der langfristigen Vorteile von Präventionsmaßnahmen im Stadtrat. Erfolgsfaktoren, die auch unsere wissenschaftliche Begleitforschung der ersten Phase von „Kein Kind zurücklassen“ identifiziert hat. Wilhelmshaven ist also ein Beispiel, das Mut macht und zeigt, dass es nicht nur auf das Geld im Stadtsäckel ankommt, sondern vor allem auch auf die politischen Ideen und Zielvorstellungen verbunden mit dem dazugehörigen Durchsetzungswillen der relevanten Akteure.
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