Über Jahrzehnte war Detroit ein Symbol für Unternehmertum, Fortschritt, Wohlstand und Stärke. Als Heimat der drei größten Autokonzerne dieser Zeit wuchs Detroit rasant und bot Hundertausenden den Aufstieg in die Mittelschicht. 1960 war Detroit die reichste Stadt der USA mit fast zwei Millionen Einwohnern. Dieser Glanz ist längst Geschichte.
Foto 1: Detroit von weitem
In der Innenstadt wird Eines auf den ersten Blick sichtbar. In dieser Stadt stimmt etwas nicht. Die Stadt wird bestimmt durch achtspurige Highways, auf denen nur wenige Autos fahren. Das Zentrum, eine Meile im Quadrat, bietet kein einziges Kaufhaus. Die Häuser bilden nur die Hülle einer Stadt. Geschätzt jedes zweite Gebäude ist ein Parkhaus. Der typische Platz ein Parkplatz. Auf den Straßen ist kein Mensch zu sehen. Wo andere arme Städte leere Häuser aufweisen, gibt es in Detroit leere Hochhäuser. Es scheint eine Geisterstadt zu sein.
Hier eine kleine Auswahl des Leerstandes fotografisch von mir festgehalten:
Foto 3: Im Hintergrund der Book Tower,
Foto 4: Rechts das Book Cadillac Hotel
Foto 5: Michigan Central Station
Wer sich für weitere Bildstrecken aus Detroit interessiert, findet hier zahlreiche historische Aufnahmen, die mich im Netz angesprochen haben. Bewegende Aufnahmen des Niedergangs habe ich auf flickr bei „Mark“ gefunden, phantastische Aufnahmen der Skyline Detroits finden sich bei flickr unter „ifmuth“.
Bilanz des Schreckens
Der Niedergang der Stadt kam nicht schlagartig. Er begann in den 1960er-Jahren. Er war schleichend aber sichtbar und zehrte die Stadt in jeder Hinsicht aus. Der Notfall-Manager legte Anfang 2013 eine schonungslose Bilanz der Lage vor:
- Seit 1950 verlor die Stadt gut 60% der Einwohner.
- Geschätzte 78.000 Wohnungen, Häuser, Grundstücke stehen leer.
- 1970 gab es 735.000 Jobs in Detroit, 2005 noch 279.000. Allein zwischen 2000 und 2010 hat sich die Arbeitslosenquote vervierfacht. 2011 lag sie bei 24%, der US-Durchschnitt bei 9%. 2010 war nicht einmal jeder dritte Erwachsene in Beschäftigung.
- Die Einkommenssteuer ist in dieser Dekade nominal um über 40% eingebrochen.
- Zwei von drei Einwohnern leben an der Armutsgrenze, mehr als die Hälfte der Kinder. Im US-Durchschnitt sind es rund 15%. Man bedenke, die die offizielle Armutsgrenze für eine 4-köpfige Familie liegt in den USA bei 20.000 Euro Einkommen im Jahr.
- Seit 2003 wurde fast die Hälfte des städtischen Personals abgebaut.
- Die Kriminalitätsrate per Einwohner liegt beim Fünffachen des US-Durchschnittes für Großstädte. Nirgends ist die Mordrate höher.
- Die Stadt führt über 15 Mrd. Dollar an Verbindlichkeiten.
- Keine US-Großstadt hat schlechtere Kreditratings. Seit einem Jahr steht Detroit auf Junk-Status.
- Nur 40% der Straßenlampen funktionieren.
- 210 von 317 Parks wurden in der Wirtschaftskrise geschlossen.
- Zwei von drei Krankenwagen sind nicht einsatzbereit.
- Die IT-Systeme der Stadtverwaltung wurden seit 1994 nicht überholt. Die Lohnbuchhaltung erfolgt Großteils manuell.
- Der Bürgermeister des letzten Jahrzehnts (Kwame Kilpatrick) wurde wegen Korruption zu 28 Jahren Haft verurteilt.
Der Bankrott Detroits ist nicht auf den Staatshaushalt begrenzt. Er ist vollständig. Die Stadt ist am Ende. Und all dies war kein Geheimnis. Wenige Wochen später erklärte der Notfall-Manager die Insolvenz.
Welche dramatischen Zahlen kennen Sie für eine deutsche Stadt? Schreiben Sie einen Kommentar.
Was rapide Schrumpfung angeht, haben wir insbesondere in Ostdeutschland auch ein paar „Highlights“. Wittenberge verlor seit 1990 auch die Hälfte der Bevölkerung. Quasi ein Detroit in Miniatur.
Wohl war. Aber für Wittenberge steht der Länderfinanzausgleich, der Solidarpakt und der kommunale Finanzausgleich bereit. Für Detroit gibt es das Alles nicht. Schauen Sie auch mal in den Beitrag vom kommenden Montag.
… vielen Dank für die Schildung.
Da erscheint das viel gescholtene deutsche föderale System mit kommunalem Finanzausgleich, Länderfinanzausgleich und in vielen Ländern sogar mit Abgaben von abundanten Gemeinden in den kommunalen Topf doch gar nicht so unvorteilhaft zu sein. Um beim Beispiel Wittenberge zu bleiben… Obendrein gab es aus dem Stadtumbauprogramm, das eigentlich ein Abrissprogramm ist, viel Steuergeld, um leer stehende Gebäude zu beseitigen. Unterm Strich viel öffentliches Geld!
Das Ausmaß der Programme in Deutschland kann man natürlich hinterfragen, aber eine sich selbst überlassene Stadt ist keine Alternative. Siehe: „Die Kriminalitätsrate per Einwohner liegt beim Fünffachen des US-Durchschnittes für Großstädte. Nirgends ist die Mordrate höher.“
…. dass man den Niedergang einer Stadtgesellschaft nicht einfach beobachten kann, hat man nun auch dort gemerkt. Der Markt regelt eben nicht Alles.
Sehr interessante Beiträge, besten Dank dafür! Hier ein paar zugegebenermaßen auch stark subjektiv geprägte Gedanken dazu.
Für mich deutet dieses prominente Besipiel auf eine der aus meiner Sicht relevantesten Determinanten kommunaler Haushaltssituationen hin: die Dynamik der exogenen Faktoren.
Im deutschen Kontext ist ja vielfach über die Erklärungskraft endogener und exogener Faktoren diskutiert und geforscht worden. Gerade die sozial-strukturelle und demograpische Komponente der exogenen Dimension wird (durchaus auch zurecht) zum Teil als überbewertet dargestellt; vor allem vor dem Hintergrund stark abweichender Haushaltsergebnisse unter ähnlichen Rahmenbedingungen.
Der zentrale Mechanismus, der hinter dem Einfluss der exogenen Variablen steckt, wird im hier geschilderten Fall perfekt sichtbar: die Entwicklung zentraler Kennzahlen (sozial, demographisch, etc.) determiniert unter anderem das „Gefahrenpotential“ für kommunale Verschuldung in deutlich stärkerem Maße als der häufig betrachtete Status-quo. Vereinfacht gesagt: die Änderung der Situation stellt die größere Herausforderung da als die Situation selbst.
Dieses Argument ist alles andere als neu. Gerade der Rückbau von Leistungen und Infrastruktur im Zuge von dynamischen Prozessen ist durchaus ein bekanntes Problem. Dennoch sehe ich auf den ersten Blick zwei Implikationen: (1) Praktisch (und hier kommt der Anknüpfungspunkt an die Aufsicht): die Betrachtung einer zum Teil extrem langfristigen Entwicklung ist zentral für die praktischen Instrumente der kommunalen Finanzaufsicht (Idee der Frühwarnsysteme, etc.). (2) Wissenschaftlich: eine groß angelegte vergleichende Betrachtung über lange Zeiträume könnte uns einen deutlich sichereren Aufschluss über die Erklärungskraft exogener Haushaltsdeterminanten geben, indem die Dynamik methodisch stärker in den Vordergrund gerückt wird.
Beste Grüße aus Konstanz,
Steffen Zabler
Hallo Herr Zabler, die Debatte um exogene und endogene Faktoren der Pleite lässt sich gut auf Detroit übertragen. Beitrag 4 und 5 des Blogs gehen darauf ein. Allerdings waren die exogenen Faktoren Strukturwandel und Finanzierungssystem hier endogen kaum zu nivellieren.
Das Thema hat sehr mein Interesse geweckt Ich würde nun gerne meine Hausarbeit über das Detroidsyndrom und den Untergang der Stadt schreiben.
Hierzu wollte ich mich einmal schlau machen, warum die Stadt so eine Abnahme an Bevölkerung hatte und warum sie nun ihre Insolvenz 2009 angemeldet hat. Praktische den Werdegang von einem blühendem Monoindustriestandort zu einer insolventen Geisterstadt.
Könnte mir ebenfalls jemand über die Faktoren berichten, die an dem Untergang der Industriestadt mitgewirkt haben?
Vielen Dank im Voraus!
LG
Luis Binger
Vielen Dank für Ihren Kommentar, wir haben hierzu mehrere „Teile“ im Blog zum Thema Detroit. Darin finden sich schon teilweise Antworten auf Ihre Fragen. Aber wir nehmen gerne direkt Kontakt auf.