Wenn in den vergangenen Monaten die Sprache auf England kam, ging es meist um den BREXIT. Nachvollziehbar, doch dieser Super-Gau direktdemokratischer Utopien ist nicht des Landes einziges Problem. Im Grunde befindet sich England seit 2010 auf einem Pfad des Niedergangs. Die BREXIT-Entscheidung vor zwei Jahren hängt damit zusammen. Aber der Reihe nach.
Die Folgen der Finanzkrise
London ist der mit Abstand größte Finanzplatz Europas. Letztlich ist die Finanzwirtschaft die wohl einzige verbliebende global wettbewerbsfähige Branche Englands überhaupt. Zwangsläufig traf die Finanzkrise England daher hart. Die Zentralregierung sah sich 2009 mit einem Haushaltsdefizit von 25% konfrontiert. Die Staatsverschuldung hat binnen weniger Jahre verdoppelt.
Im Gegensatz zu Deutschland wurden die Kommunen aber nicht direkt getroffen, denn eine Gewerbesteuer gibt es nicht. Der Schlag kam mit einem Jahr Verzögerung, aber dafür umso härter. Um den eigenen Haushalt zu sanieren, kündigte die Regierung an, die Zuweisungen an die Kommunen zu kürzen. Diese Kürzungen beliefen sich, dem Rechnungshof zu Folge, 2017 auf 49% gegenüber 2010.
Der „schlanke Staat“ wird magersüchtig
England hatte im Grunde nie einen starken Staat. Debatten wie kostenfreie Kita, Grundsicherung oder Asyl wären dort undenkbar. Wesentliche öffentliche Leistungen wie z.B. Hochschulen, Bahn oder Wasser wurden bereits vor Jahrzehnten privatisiert. Die 2010 neu gewählte konservative Zentralregierung ging noch einen Schritt weiter und rief ein neues Zeitalter aus: von „big state“ zu „big society“.
Die Kommunen sollten ihre Leistungen auf die Bürger oder gemeinnützige Organisationen verlagern. Um diese „Innovationen“ zu ermöglichen, hat die Zentralregierung diverse Regulierungen abgeschafft und die Handlungsspielräume der Kommunen vergrößert. Ein cleverer Schachzug, denn tatsächlich bedeutet dies, dass es der Regierung in Zukunft leichter fällt, sich von den Folgen dieser Kürzungen zu distanzieren.
Haushaltskrisen schwelen im Verborgenen
In Anbetracht dessen würde man erwarten, dass Haushaltsdefizite und Kassenkredite explodieren, denn ähnlich Deutschland wachsen auch in England die sozialen Probleme. Aber Nichts dergleichen ist zu beobachten. Das Gebot zum Haushaltsausgleich wird eingehalten. Warum? Die Antwort liegt im System der Kommunalaufsicht. Im Gegensatz zu Deutschland wird diese nicht durch den Staat, sondern durch die kommunalen Verbände und private Wirtschaftsprüfer getragen. Der Druck auf die Kämmerer, Bürgermeister und Stadträte ist hoch, denn bei Verstößen können sie ihre berufliche Existenz verlieren und sind strafrechtlich verantwortlich.
Ich habe dieses System einmal in bunten Bildern zusammengefasst:
Die Konsequenz ist, dass die englischen Kommunen jeden Bilanztrick suchen, Mittel zu akquirieren, was natürlich nur in Grenzen funktioniert. Im Ergebnis sind die kommunalen Leistungen heute ausgehöhlt. Das Leistungsniveau sinkt, was bekanntlich schwache Bevölkerungsgruppen umso härter trifft. Und damit sind wir wieder am Anfang der Geschichte. Denn die daraus resultierende Unzufriedenheit war ein Treiber des Brexit.
Mehr zur Haushaltskrise in England finden Sie hier:
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