Am 9. August erscheint der Kommunale Finanzreport 2017. In dieser Blog-Reihe stellen wir in sieben Folgen sieben Zahlen aus dem Report vor und erzählen die Geschichten dahinter.
Deutschland schrumpft. Es ist ein schleichender Prozess, aber ein stabiler. In den vergangenen 25 Jahren (gerade mal eine Generation!) verschwanden 248 Kreise von der Landkarte. Für immer. Nur noch bei den Älteren unter uns wecken Namen wie Gadebusch, Jessen oder Oelsnitz erquickliche Erinnerungen. Diese Kreise haben uns 1994 verlassen. Tragisch, denn sie sind erst 1990 zu uns gestoßen.
Radikale Strukturreformen in Ostdeutschland
Geografisch bewanderte Leser haben es bereits bemerkt: die erwähnten Kreise lagen allesamt in Ostdeutschland. Die fünf neuen Länder waren bei ihrem Beitritt 1990 außerordentlich kleinteilig organisiert. Ein typischer Landkreis hatte 40.000 Einwohner. Das war nicht kompatibel mit den zukünftigen bundesdeutschen Aufgaben, der demografischen Entwicklung und vor allem nicht mit den wirtschaftlichen Verhältnissen. So kam es zu mehreren Wellen von Fusionen. Aus handgezählten 274 Kreisen und kreisfreien Städten wurden 76. Die nächsten Fusionen sind in Thüringen und Brandenburg geplant. Dann wären nur noch 57 Stück übrig. 2019 würde in Brandenburg der Kreis Niederlausitz das Licht der Welt erblicken, der aus stolzen zehn ehemals eigenständigen Kreisen bestünde.
Kaum Bewegung im Westen
In Westdeutschland liegt die Phase kommunaler Fusionen weit zurück. Über vierzig Jahre war es ruhig, denn die großen Widerstände in den 1970er Jahren blieben für die Regierungen prägend. Nichtsdestotrotz haben Niedersachen und Rheinland-Pfalz zaghafte Initiativen gestartet. Zwangsläufig, denn diese Länder sind in ihren kommunalen Strukturen äußerst kleinteilig, sie schrumpfen in einigen Regionen, sind wirtschaftsschwach und hoch verschuldet. Ohne strukturelle Änderungen sind die Kommunen dort langfristig nicht handlungsfähig. Das ist schon lange bekannt. Nichtsdestotrotz verdrängten die Regierungen und die Kommunen die Probleme aus politischen Gründen. Und so war es durchaus eine Sensation, dass im vergangenen Jahr die Kreise Göttingen und Osterode fusionierten. Die Freiwilligkeit wurde befördert durch 80 Millionen Euro Entschuldungshilfe.
Die Statistik verliert an Aussagekraft
In den betroffenen Kommunen lösen Fusionsvorhaben meist verzweifelten Widerstand aus; oft mit fragwürdigen Argumenten der Lokalpolitik. Verfassungsklagen und Demonstrationen sind an der Tagesordnung (aktuell in Thüringen und Brandenburg). Auch wenn die Zielerreichung der Vorhaben ex post kaum nachzuprüfen ist, die Rechtslage ist klar: Die kommunale Struktur liegt im Ermessen des Landes.
Kommunale Fusionen haben aber auch statistische Effekte, die unseren Finanzreport berühren. Zum einen wird es schwierig, für einzelne Kommunen Zeitreihen zu bilden, wenn diese Kommunen an einem Stichtag nicht mehr existieren. Hier müssen wir regelmäßig die Kommunalstruktur rückwirkend bereinigen, was gelegentlich nur näherungsweise gelingt. Ein zweiter Effekt ist die sinkende Varianz der Finanzstatistik, da es weniger kommunale Einheiten gibt. Die nun größeren Kreise bewirken einen internen Ausgleichseffekt, kreisinterne Differenzen werden überdeckt. Die kommunale Welt sieht damit homogener aus, als sie eigentlich ist.
Mehr zu den kommunalen Strukturen, Fusionen und zur Entwicklung der Fallzahlen von Gemeinden und Kreisen finden Sie ab dem 9. August im Kommunalen Finanzreport. Bereits am 12. Juli finden Sie den nächsten Blog-Beitrag. Dann geht es um die Zahl 3.712.
Lesen Sie aus dieser Blog-Reihe auch:
Folge 1: 50 Milliarden Euro Kassenkredite
Folge 2: Warum ein hoher Gewerbesteuersatz nicht immer hohe Einnahmen bedeutet
Folge 5: Kita-Ausbau: Kapazitäten und Kosten für Kommunen kaum planbar
Folge 6: Wirtschaftliche Dynamik. Der Rahmen für kommunale Finanzen
Auch wäre sicherlich der umgekehrte Weg, also die Auflösung von Kreisen, zumindest in seinen rechnerischen Auswirkungen zu prüfen. Tatsache ist, gerade in NRW, dass durch die Kreisumlagen sowie des Konstruktes der Landschaftsverbände und deren Umlagen, jährlich Mehrkosten auf die kreisangehörigen Kommunen zukommen. Die Neugliederungsprogramme von 1969 – 1974 haben sicherlich zu ihrer Zeit sinn ergeben, die Frage ob sie noch zeit gemäß sind, wurde aber, wohl auch aus politischen Gründen, nicht beantwortet. Wäre vllt. für Sie auch eine interessante Hintergrundgeschichte.
Vielen Dank für den Kommentar. Das wäre in der Tat eine Fragestellung, die diametral zum Trend steht. Spontan sehe ich keine Alternative zur übergemeindlichen Aufagbenwahrnehmung der Kreise. Es sei denn, man fusioniert die Gemeinden auf Kreisniveau, wie z.B. in Schwedenn. Das wäre aber meines erachtens keine Verbesserung. Die Umlagen sind ein Problem, aber dafür muss man andere Lösungen finden.