Zur inhaltlichen Vorbereitung des Reinhard Mohn Preises 2017 zum Thema „Smart Country – Vernetzt. Intelligent. Digital.“ recherchiert das Projektteam vorbildliche digitale Projekte und Anwendungen weltweit. Ein wichtiger Baustein sind Vor-Ort-Recherchen in ausgewählten Ländern. Die Reiseberichte zu Schweden und Estland sind bereits nachzulesen. Als letzter Bericht wird in Kürze der aus Israel erscheinen.
In den vergangenen Jahren wurde Österreich immer wieder zum „Europameister“ in Sachen E-Government gekürt. Eine Vorreiterrolle innerhalb des Landes nimmt dabei sicherlich die Stadt Wien ein. Durch eine gute Vernetzungsstrategie zwischen Wien und der Bundesebene strahlt die Initiative Wiens jedoch über die Stadtgrenzen hinaus – und ist damit Städten und Regionen in Deutschland weit voraus.
Im Mittelpunkt der Smart-City-Strategie Wiens stand nicht die Faszination an smarten Technologien. Von Anfang an ging es auch darum, soziale Innovationen zu realisieren und die Stadt bürgerfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten. Die Technik sollte den Menschen dienen – heutigen wie zukünftigen Generationen. Und durch eine frühzeitige Einbindung der Bürger und ihrer Bedürfnisse hat man es geschafft, Vorbehalte gegenüber neuen Technologien durch bürgerfreundliche Anwendungen abzubauen.
Auch die wirtschaftlichen Potenziale wurden rechtzeitig erkannt und genutzt. Nicht die Angst vor Arbeitsplatzverlusten durch Digitalisierung beherrscht die Diskussion, sondern die mit dem Aufbau neuer, spannender und zukunftsträchtiger Berufsfelder verbundenen Chancen und Potenziale.
Die Informations- und Telekommunikationsbranche ist dadurch inzwischen ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor für Wien geworden: Ihre Wertschöpfung ist vier Mal so hoch wie die der Tourismusbranche. Über 54.000 Menschen arbeiten in mehr als 5.800 Unternehmen.
Offene Daten bilden die Basis
Seit 2010 stellt die Stadt Wien nicht personenbezogene Daten frei zugänglich ins Internet. Ca. 400 Datensätze sind dort inzwischen verfügbar und knapp 200 Anwendungen wurden für diese Daten programmiert. Damit einher ging ein Kulturwandel sowohl in der Verwaltung als auch in der Bürgerschaft.
Für die Verwaltungen sind kommunale Daten keine hoheitliche Verschlusssache mehr. Bürger und Unternehmen der Stadt haben im Gegenteil das Recht, diese Informationen kostenfrei zu nutzen. In der Folge muss die Verwaltung Anwendungen nicht mehr in jedem Fall selbst beauftragen und bezahlen. Eine kreative Community sucht von sich aus nach neuen Geschäftsmodellen und macht die Daten so für die Bürger nutzbar (für mehr Infos zur kommunalen Nutzung von offenen Daten lesen Sie auch unsere kürzlich erschienene Analyse „Open Data – Wertschöpfung im digitalen Zeitalter„).
Bürger und Unternehmen entwickelten aus eigenem Antrieb Anwendungen, mit denen sie anschließend städtische Leistungen leichter oder effizienter in Anspruch nehmen können. Damit verschmilzt die Grenze zwischen der Verwaltung auf der einen sowie Bürgerschaft und Unternehmern auf der anderen Seite. Bürger und Unternehmer werden integraler Bestandteil einer kommunalen „Selbstverwaltung“.
Highlight ist in diesem Zusammenhang sicher der Wiener Stadtplan wien.at, der inzwischen mehr als 200.000 Seitenaufrufe pro Monat verzeichnet. Zahlreiche Karteninhalte, von Ampeln mit Akustikkennung über öffentliche WLAN-Standorte bis hin zu WC-Anlagen und „Hundesackerlspendern“ können dort abgerufen werden. Echtzeit-Mitteilungen per App liefern personalisierte Informationen direkt aufs Handy: So können Störungen für jede Wiener Linie ebenso per Push-Meldung abonniert werden wie nach individuellen Präferenzen ausgewählte Veranstaltungshinweise.
Klare Rahmensetzung durch den Staat
Bereits 2004 wurde mit dem ersten nationalen E-Government-Gesetz ein gesamtstaatlicher Rahmen gespannt. Im Jahr 2016 wurde das Gesetz in Österreich bereits zum ersten Mal novelliert. Seit 2005 werden E-Government-Maßnahmen in Österreich von der Plattform Digitales Österreich koordiniert. Bund, Länder und Kommunen stimmen hier die zentralen Leitlinien und Standards der Digitalisierung der Verwaltung verbindlich miteinander ab und beziehen dabei externe Experten ein.
In den Jahren 2006 bis 2010 wurde Österreich in EU-Benchmarkings immer wieder zum „Europameister“ im E-Government gekürt. Auch in den Folgejahren, in denen es kein europäisches Benchmarking mehr gab, hielt Österreich seinen Spitzenplatz und ist damit insbesondere Deutschland auch heute noch weit voraus. Wir können viel lernen von unserem – gemessen an der Bevölkerung – kleinen, aber offenbar in mancherlei Hinsicht innovativeren Nachbarn.
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